09.01.2013 Aufrufe

Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Kann man deshalb die Arbeitslosigkeit als e<strong>in</strong>e Art Opfer für den Fortschritt bezeichnen, das periodisch<br />

zu br<strong>in</strong>gen ist, um der kapitalistischen Erfolgsgeschichte nach jeder Krise e<strong>in</strong> weiteres<br />

Kapitel anzuhängen? Darauf läuft die Darstellung der Berufserklärer <strong>in</strong> Talkshows und Leitartikeln<br />

immer wieder h<strong>in</strong>aus. Sie nennen es krisenhafte Anpassungen: "Manchmal schmerzhaft,<br />

aber eben unvermeidlich." 297 Diese Spezialisten für Marktfragen verkaufen uns eben alle Krisen<br />

und platzenden Spekulationsblasen, alle Lasten, die wir tragen müssen, als lediglich vorübergehende<br />

"Verwerfungen" auf dem Weg zum allgeme<strong>in</strong>en Wohlstand.<br />

Wenn wir uns aber M.s Methode bedienen, verlieren wir die Zusammenhänge nicht aus dem<br />

Blick. Dann haben wir es gar nicht mit ungebremstem technischem Fortschritt, mit überbordender<br />

Innovationskraft, mit immerfort steigender Arbeitsproduktivität, mit unbestechlich wissenschaftlicher<br />

Arbeitsorganisation zu tun. <strong>Das</strong>, was fortschrittlich daran zu se<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>t, s<strong>in</strong>d dem<br />

Kapitalisten aufgezwungene Mittel zum Zweck. M. beschreibt diesen Zweck mit der Kategorie<br />

des relativen Mehrwerts. Dem Unternehmer ist die Sicherung und möglichst Steigerung der Gew<strong>in</strong>ne<br />

das Ziel. Nur <strong>in</strong> den Grenzen dieser Zielsetzung wird er zum begeisterten Ingenieur, zum<br />

Fachmann für zeitsparende Arbeitsabläufe, zum Technik-Freak und Innovations-Fan. Wir werden<br />

noch sehen, dass diese Grenzen sehr eng werden können. Außerhalb dieser Grenzen bleiben<br />

technische Projekte nur Luftnummern, <strong>in</strong>novative Zukunftsentwürfe nur geduldiges Papier, mögen<br />

sie für das Wohlergehen der Gesellschaft auch noch so wünschenswert se<strong>in</strong>. Außerhalb dieser<br />

Grenzen muß alles erkämpft werden. 298<br />

So schließt sich der Kreis: Die Steigerung der Arbeitsproduktivität schafft im Wechsel <strong>von</strong> Ausdehnung<br />

der Mehrwertproduktion und Freisetzung <strong>von</strong> Arbeitskraft immer auch die Voraussetzungen<br />

für alle oben bereits beschriebenen Versuche, auf die Höhe der Löhne auf breiter Front<br />

e<strong>in</strong>zuwirken. Die Steigerung der Arbeitsproduktivität ist auf diese Weise an der Sicherung des<br />

relativen Mehrwerts <strong>in</strong> viel stärkerem Maße beteiligt, als es zu Anfang dieses Themas schien.<br />

Freilich ist sie auch, e<strong>in</strong>gezwängt <strong>in</strong> die Erfordernisse kapitalistischer Verwertung, randvoll mit<br />

sozialer und ökonomischer Sprengkraft. Wetten?<br />

Die Sache mit der Ausbeutung<br />

In e<strong>in</strong>er älteren E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die Politische Ökonomie aus der UdSSR haben wir im Kapitel über<br />

den Mehrwert nach 50mal "Ausbeutung" aufgehört zu zählen. Die häufige Verwendung im<br />

S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es politisch-moralischen Vorwurfs sollte offenbar als schlagkräftiges Argument im ideologischen<br />

Kampf der Systeme funktionieren. Mal abgesehen da<strong>von</strong>, dass es offenbar nicht funktioniert<br />

hat: In der politisch-ökonomische Analyse geht es überhaupt nicht um "Schuld" oder<br />

"moralische Verderbtheit", sondern darum herauszuf<strong>in</strong>den, wie die kapitalistische Produktionsweise<br />

funktioniert, wie sie sich entwickelt und wo ihre Bruchstellen s<strong>in</strong>d.<br />

Also "wertfreie Wissenschaft"? Emotionsfreie Betrachtung? Soll es denn nicht darum gehen, die<br />

kapitalistische Produktionsweise und das sich darauf aufbauende Gesellschaftssystem anzuprangern?<br />

Schließlich hat M. selbst ke<strong>in</strong>e Sekunde gezögert, die Grausamkeiten und die Habgier der<br />

Fabrikanten beim Namen zu nennen. Gerade im ersten Band des "Kapital" ist e<strong>in</strong>e Fülle an Material<br />

e<strong>in</strong>gearbeitet, das die Verachtung menschlichen Lebens und menschlicher Würde durch<br />

die Aktivisten des Kapitals dokumentiert.<br />

Zwischenfrage 55: Läßt sich das Gute am Kapitalismus nicht bewahren, wenn man gerechte Löhne e<strong>in</strong>führt<br />

und die Auswüchse beschneidet? Was ist überhaupt <strong>von</strong> der Forderung nach "gerechter Bezahlung"<br />

vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>von</strong> M.s Werttheorie zu halten? (S.207)<br />

99

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!