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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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Mit den Unterschieden <strong>in</strong> der Verteilung aber treten die Klassenunterschiede auf. Die Gesellschaft<br />

teilt sich <strong>in</strong> bevorzugte und benachteiligte, ausbeutende und ausgebeutete, herrschende<br />

und beherrschte Klassen, und der Staat, zu dem sich die naturwüchsigen Gruppen gleichstämmiger<br />

Geme<strong>in</strong>den zunächst nur behufs der Wahrnehmung geme<strong>in</strong>samer Interessen (Berieselung<br />

im Orient z.B.) und wegen des Schutzes nach außen fortentwickelt hatten, erhält <strong>von</strong> nun an<br />

ebensosehr den Zweck, die Lebens- und Herrschaftsbed<strong>in</strong>gungen der herrschenden gegen die<br />

beherrschte Klasse mit Gewalt aufrechtzuerhalten.<br />

Die Verteilung ist <strong>in</strong>des nicht e<strong>in</strong> bloßes passives Erzeugnis der Produktion und des Austausches;<br />

sie wirkt ebensosehr zurück auf beide. Jede neue Produktionsweise oder Austauschform wird im<br />

Anfang gehemmt nicht nur durch die alten Formen und die ihnen entsprechenden politischen<br />

E<strong>in</strong>richtungen, sondern auch durch die alte Verteilungsweise. Sie muß sich die ihr entsprechende<br />

Verteilung erst <strong>in</strong> langem Kampf err<strong>in</strong>gen. Aber je beweglicher, je mehr der Ausbildung und<br />

Entwicklung fähig e<strong>in</strong>e gegebne Produktions- und Austauschweise ist, desto rascher erreicht<br />

auch die Verteilung e<strong>in</strong>e Stufe, <strong>in</strong> der sie ihrer Mutter über den Kopf wächst, <strong>in</strong> der sie mit der<br />

bisherigen Art der Produktion und des Austausches <strong>in</strong> Widerstreit gerät. Die alten naturwüchsigen<br />

Geme<strong>in</strong>wesen, <strong>von</strong> denen schon die Rede war, können Jahrtausende bestehn, wie bei Indern<br />

und Slawen noch heute, ehe der Verkehr mit der Außenwelt <strong>in</strong> ihrem Innern die Vermögensunterschiede<br />

erzeugt, <strong>in</strong>folge deren ihre Auflösung e<strong>in</strong>tritt. Die moderne kapitalistische<br />

Produktion dagegen, die kaum dreihundert Jahre alt und erst seit E<strong>in</strong>führung der großen Industrie,<br />

also seit hundert Jahren, herrschend geworden ist, hat <strong>in</strong> dieser kurzen Zeit Gegensätze der<br />

Verteilung fertiggebracht – Konzentration der Kapitalien <strong>in</strong> wenigen Händen e<strong>in</strong>erseits, Konzentration<br />

der besitzlosen Massen <strong>in</strong> den großen Städten andrerseits –, an denen sie notwendig<br />

zugrunde geht.<br />

Der Zusammenhang der jedesmaligen Verteilung mit den jedesmaligen materiellen Existenzbed<strong>in</strong>gungen<br />

e<strong>in</strong>er Gesellschaft liegt sosehr <strong>in</strong> der Natur der Sache, daß er sich im Volks<strong>in</strong>st<strong>in</strong>kt regelmäßig<br />

widerspiegelt. Solange e<strong>in</strong>e Produktionsweise sich im aufsteigenden Ast ihrer Entwicklung<br />

bef<strong>in</strong>det, solange Jubeln ihr sogar diejenigen entgegen, die bei der ihr entsprechenden Verteilungsweise<br />

den kürzern ziehn. So die englischen Arbeiter beim Aufkommen der großen Industrie.<br />

Selbst solange diese Produktionsweise die gesellschaftlich-normale bleibt, herrscht im<br />

ganzen Zufriedenheit mit der Verteilung, und erhebt sich E<strong>in</strong>spruch – dann aus dem Schoß der<br />

herrschenden Klasse selbst (Sa<strong>in</strong>t-Simon, Fourier, Owen) und f<strong>in</strong>det bei der ausgebeuteten Masse<br />

erst recht ke<strong>in</strong>en Anklang. Erst wenn die fragliche Produktionsweise e<strong>in</strong> gut Stück ihres absteigenden<br />

Asts h<strong>in</strong>ter sich, wenn sie sich halb überlebt hat, wenn die Bed<strong>in</strong>gungen ihres <strong>Das</strong>e<strong>in</strong>s<br />

großenteils verschwunden s<strong>in</strong>d und ihr Nachfolger bereits an die Tür klopft – erst dann ersche<strong>in</strong>t<br />

die immer ungleicher werdende Verteilung als ungerecht, erst dann wird <strong>von</strong> den überlebten<br />

Tatsachen an die sogenannte ewige Gerechtigkeit appelliert. Dieser Appell an die Moral<br />

und das Recht hilft uns wissenschaftlich ke<strong>in</strong>en F<strong>in</strong>gerbreit weiter; die ökonomische Wissenschaft<br />

kann <strong>in</strong> der sittlichen Entrüstung, und wäre sie noch so gerechtfertigt, ke<strong>in</strong>en Beweisgrund<br />

sehn, sondern nur e<strong>in</strong> Symptom. Ihre Aufgabe ist vielmehr, die neu hervortretenden gesellschaftlichen<br />

Mißstände als notwendige Folgen der bestehenden Produktionsweise, aber auch<br />

gleichzeitig als Anzeichen ihrer here<strong>in</strong>brechenden Auflösung nachzuweisen, und <strong>in</strong>nerhalb der<br />

sich auflösenden ökonomischen Bewegungsform die Elemente der zukünftigen, jene Mißstände<br />

beseitigenden, neuen Organisation der Produktion und des Austausches aufzudecken. Der Zorn,<br />

der den Poeten macht, ist bei der Schilderung dieser Mißstände ganz am Platz, oder auch beim<br />

Angriff gegen die, diese Mißstände leugnenden oder beschönigenden Harmoniker im Dienst der<br />

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