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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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Paul M. Sweezy starb am 27. Februar 2004. In e<strong>in</strong>em se<strong>in</strong>er letzten �Interviews (1999) schreibt<br />

er der "l<strong>in</strong>ken Debatte" folgenden Satz <strong>in</strong>s Stammbuch, den auch wir beherzigen sollten:<br />

"Me<strong>in</strong> Haupte<strong>in</strong>wand gegen die heutige, am <strong>Marx</strong>ismus orientierte geistige Bewegung <strong>in</strong> den<br />

USA ist ihr ›Akademismus‹, wenn ich es mal so nennen darf. Diese Bewegung existiert faktisch<br />

alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> der akademischen Sphäre, und sie teilt daher alle Schwächen, die dieser Sphäre geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong><br />

anhaften – <strong>in</strong>sbesondere die diszipl<strong>in</strong>äre Zersplitterung. In gewissem S<strong>in</strong>ne machen die<br />

(akademischen) <strong>Marx</strong>isten genau dasselbe wie ihre (nichtmarxistischen) Kollegen, nur eben mit<br />

e<strong>in</strong>em marxistischen Touch. Und so verfangen sie sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Vielzahl <strong>von</strong> <strong>in</strong>tellektuellen Spitzf<strong>in</strong>digkeiten<br />

und Sche<strong>in</strong>debatten. Auch die marxistischen Ökonomen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>zwischen – weil die<br />

bürgerliche Ökonomie weitgehend mathematisch formalisiert ist – der Ökonometrie verfallen,<br />

anstatt sich e<strong>in</strong>er alternativen, an den historischen Gegebenheiten ansetzenden, sozialwissenschaftlich<br />

gehaltvollen Interpretation der Probleme zuzuwenden."<br />

Eugen Varga (1879-1964)<br />

Der <strong>in</strong> Ungarn geborene marxistische Ökonom arbeitet nach dem Abschluß se<strong>in</strong>es Studiums 528<br />

als Wirtschaftsredakteur für die Presse der Sozialdemokratischen Partei Ungarns. 1918, nach der<br />

bürgerlichen Umwälzung <strong>in</strong> Ungarn, wird Varga Universitätsprofessor. In der ungarischen Räterepublik<br />

im März 1919 wird er Volkskommissar und Vorsitzender des obersten Wirtschaftsrats.<br />

Nach dem Sturz der Räterepublik im August 1919 landet Varga im österreichischen Internierungslager.<br />

Dort faßt er se<strong>in</strong>e Erfahrungen als Volkskommissar <strong>in</strong> der Arbeit Die<br />

wirtschaftspolitiscben Probleme der proletarischen Diktatur zusammen. 529<br />

Als Vertreter der KP Ungarns wird Varga 1920 Mitglied im Exekutivkomitee der Kommunistischen<br />

Internationale (KI), dem er bis 1931 angehört. Von 1927 bis 1947 ist er Leiter des Moskauer<br />

Instituts für Weltwirtschaft und Weltpolitik. Von 1922 bis 1939 ersche<strong>in</strong>en se<strong>in</strong>e berühmten<br />

vierteljährlichen Berichte zur Lage der Weltwirtschaft. Sie sollen die Politik der KI auf die realen<br />

ökonomischen Verhältnisse ausrichten. Der Erfolg ist beschränkt.<br />

<strong>E<strong>in</strong>e</strong>n wissenschaftlichen Triumpf errang Varga mit se<strong>in</strong>en Analysen und Prognosen zum Verlauf<br />

der Weltwirtschaftskrise <strong>in</strong> den Jahren 1929 bis 1931, deren Tiefe er im Unterschied zu allen<br />

Konjunkturforschungs<strong>in</strong>stituten der Zeit viel früher und vor allem viel fundierter vorhersagte.<br />

Se<strong>in</strong>e umfangreichen Analysen zur Weltwirtschaftskrise wurden Grundlage se<strong>in</strong>er Theorie <strong>von</strong><br />

der allgeme<strong>in</strong>en Krise des Kapitalismus. Sie wurde zwar als Schlagwort, aber nicht <strong>in</strong> ihrer tatsächlichen<br />

Bedeutung <strong>von</strong> der KI politisch adaptiert und lebte auch nach der Auflösung der KI<br />

zum<strong>in</strong>dest propagandistische weiter. 530<br />

Als Sachverständiger der UdSSR nahm Varga an der Weltwirtschaftskonferenz des Völkerbunds<br />

1927 und an der Potsdamer Konferenz 1945 teil, auf der die vier Siegermächte über die Zukunft<br />

Europas nach der Niederlage Hitler-Deutschlands verhandelten.<br />

In se<strong>in</strong>en Analyse des neuen, keynesianisch geprägten Kapitalismus nach dem 2. Weltkrieg erkennt<br />

Varga, dass der Kapitalismus als ökonomisches System e<strong>in</strong>e neue Stabilität gew<strong>in</strong>nen<br />

würde und korrigiert se<strong>in</strong>e eigene Konzeption <strong>von</strong> der Allgeme<strong>in</strong>en Krise. <strong>Das</strong> brachte ihm <strong>in</strong><br />

Lehrbüchern der UdSSR vorübergehend die E<strong>in</strong>ordnung als "bürgerlicher Ökonom" e<strong>in</strong>.<br />

Vargas E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> den Apparat der KI h<strong>in</strong>terließ auch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en wissenschaftlichen Analysen<br />

deutliche Spuren. Vor allem aber verh<strong>in</strong>derte sie viel zu lange e<strong>in</strong>e unbefangene Beschäftigung<br />

mit se<strong>in</strong>en Beiträgen, die ihn trotz allem als kenntnsreichen und durchaus kreativen Anwender<br />

der marxistischen politischen Ökonomie auszeichnen. Und auch se<strong>in</strong>e Fehler s<strong>in</strong>d immerh<strong>in</strong> <strong>von</strong><br />

der lehrreichen Art.<br />

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