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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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272 Tatsächlich wurde die Frauen- und K<strong>in</strong>derarbeit über die niedrigen Löhne für Männer erzwungen. Nur die<br />

Familien, <strong>in</strong> denen Frau oder K<strong>in</strong>der mitarbeiteten, erreichten e<strong>in</strong>en Lebensstandard deutlich oberhalb der re<strong>in</strong>en<br />

Armut. Man kann das sehr anschaulich e<strong>in</strong>em Reisebericht <strong>von</strong> Georg Weerth aus dem Jahre 1835 entnehmen:<br />

"An der E<strong>in</strong>richtung der Wohnung kann man fast immer sehen, wieviel Lohn der Arbeiter wöchentlich erhält. Bei<br />

15 Schill<strong>in</strong>gen, was e<strong>in</strong> sehr mäßiger Lohn ist, bedeckt selten e<strong>in</strong> Teppich den ste<strong>in</strong>ernen Fußboden – nur vor<br />

dem Kam<strong>in</strong>e liegt gewöhnlich e<strong>in</strong> schmaler Lappen –, die Wände s<strong>in</strong>d schmucklos, das ganze Möblement besteht<br />

nur aus Tisch, Stuhl und Bett. Bei 20 Schill<strong>in</strong>gen sieht es schon besser aus; auf den Stühlen liegen Kissen, der<br />

Teppich, e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> England des Klimas wegen durchaus nötige Sache, ist größer, auf dem Schrank stehen Gläser<br />

und Tassen, und an der Stubendecke hängt vielleicht e<strong>in</strong> Sch<strong>in</strong>ken oder e<strong>in</strong>e Speckseite. Bei Leuten, die 30 Schill<strong>in</strong>ge<br />

e<strong>in</strong>nehmen, gewahrt man schon e<strong>in</strong>en geregelten Komfort, der sich bis auf kle<strong>in</strong>e Figuren, Tassen und Gläser<br />

erstreckt, die das Gesims des Kam<strong>in</strong>es zieren. Hat e<strong>in</strong> Vater bereits K<strong>in</strong>der, die ebenfalls <strong>in</strong> Fabriken arbeiten<br />

und noch bei ihm wohnen, so ist die Summe des wöchentlichen Lohnes natürlich größer; für Essen und Tr<strong>in</strong>ken<br />

wird dann besser gesorgt und namentlich am Sonntagmittag etwas Besonderes auf den Tisch gebracht.<br />

Aber ach, all diese kle<strong>in</strong>e Herrlichkeit dauert ja nur, solange der Handel gut geht. Ist es damit zu Ende oder brechen<br />

gar Krankheiten oder sonst Unglücksfälle über den Arbeiter here<strong>in</strong>, da verschw<strong>in</strong>det bald der Teppich <strong>von</strong><br />

dem Boden, das Kissen vom Stuhl, der Stuhl selbst und das Bett, und auf dem Tische sucht man vergebens nach<br />

Fleisch und Ale. Tausende wandern <strong>in</strong>s Armenhaus, und die, welche zu stolz s<strong>in</strong>d, sich e<strong>in</strong>schließen zu lassen,<br />

und Weib und K<strong>in</strong>der nicht aufgeben wollen, stehen <strong>in</strong> Lumpen an den Straßenecken, damit – der Reiche über sie<br />

spotte." (Georg Weerth: Die englischen Arbeiter, 1845)<br />

273 Zur Intensivierung der Arbeit tragen nicht zuletzt auch neue Lohnformen wie Stücklohn oder Akkordlohn bei.<br />

Was aber M. zu Lebzeiten an Intensivierung der Arbeit erlebt hat, war längst nicht das Ende der Fahnenstange.<br />

Vielmehr fand die <strong>von</strong> ihm skizzierte Entwicklung erst Jahrzehnte später <strong>in</strong> den Ford'schen Fließbändern, <strong>in</strong> den<br />

mit Obsession betriebenen Zeitstudien Taylors und Konsorten <strong>in</strong> der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts e<strong>in</strong>en<br />

Höhepunkt. Seitdem ist es Rout<strong>in</strong>e, bei der Konstruktion <strong>von</strong> Masch<strong>in</strong>en und Produktionsabläufen jede Bewegung<br />

der Masch<strong>in</strong>en und der Arbeitskräfte mit der Stoppuhr zu folgen, um dem Unternehmen auch noch die letzte<br />

Zehntelsekunde der bezahlten Arbeitszeit zu sichern. Aber der krasse Versuch, auch die Arbeitskräfte dauerhaft<br />

wie Masch<strong>in</strong>en <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en zergliederten Produktionsprozess e<strong>in</strong>zuordnen, ist zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> den entwickelten<br />

kapitalistischen Ländern <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund getreten. Denn mit Taylors rabiaten Verfahren konnte man zwar die<br />

Produktivität steigern, aber das funktionierte nur so lange, wie es um Tätigkeiten ger<strong>in</strong>ger Qualifikation g<strong>in</strong>g.<br />

Darüberh<strong>in</strong>aus verlor man <strong>in</strong> den Unternehmen zunehmend das notwendige M<strong>in</strong>destmaß an Loyalität der Mitarbeiter,<br />

ohne das ke<strong>in</strong> Unternehmen existieren kann. <strong>Das</strong> und die nach 1945 stark wachsenden Anforderungen an<br />

die Qualifikation des Gesamtarbeiters lösten das alte System des Tylorismus-Fordismus ab. Neue Techniken der<br />

Mitarbeiterführung und Motivation traten ihre Arbeit an: Humanisierung der Arbeitswelt, Human relations im Unternehmen,<br />

Identifikation des Mitarbeiters mit der Unternehmensphilosophie, flache Hierarchien, Mitsprache am<br />

Arbeitsplatz und Gruppenarbeit waren e<strong>in</strong>ige der neuen Zauberworte, <strong>von</strong> denen die meisten <strong>in</strong>zwischen wieder<br />

ihren Charme verloren haben. Aber wie auch immer die Mode aussieht: Es muß dem Mehrwert nützen! Mehr<br />

über Taylorismus bei wikipedia. Auf die hier beschriebenen Wechsel im Akkumulationsregime (darum handelt es<br />

sich nämlich), kommen wir im Akkumulationskapitel zu sprechen.<br />

274 "Unter Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit verstehn wir hier überhaupt e<strong>in</strong>e Verändrung im Arbeitsprozeß,<br />

wodurch die zur Produktion e<strong>in</strong>er Ware gesellschaftlich erheischte Arbeitszeit verkürzt wird, e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>res<br />

Quantum Arbeit also die Kraft erwirbt, e<strong>in</strong> größres Quantum Gebrauchswert zu produzieren. Während also bei<br />

der Produktion des Mehrwerts <strong>in</strong> der bisher betrachteten Form die Produktionsweise als gegeben unterstellt war,<br />

genügt es für die Produktion <strong>von</strong> Mehrwert durch Verwandlung notwendiger Arbeit <strong>in</strong> Mehrarbeit ke<strong>in</strong>eswegs,<br />

daß das Kapital sich des Arbeitsprozesses <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er historisch überlieferten oder vorhandnen Gestalt bemächtigt<br />

und nur se<strong>in</strong>e Dauer verlängert. Es muß die technischen und gesellschaftlichen Bed<strong>in</strong>gungen des Arbeitsprozesses,<br />

also die Produktionsweise selbst umwälzen, um die Produktivkraft der Arbeit zu erhöhn, durch die Erhöhung<br />

der Produktivkraft der Arbeit den Wert der Arbeitskraft zu senken und so den zur Reproduktion dieses Werts<br />

notwendigen <strong>Teil</strong> des Arbeitstags zu verkürzen....<br />

Um den Wert der Arbeitskraft zu senken, muß die Steigerung der Produktivkraft Industriezweige ergreifen, deren<br />

Produkte den Wert der Arbeitskraft bestimmen, also entweder dem Umkreis der gewohnheitsmäßigen Lebensmittel<br />

angehören oder sie ersetzen können." (MEW 23, S.333f)<br />

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