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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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eitskraft. Man hat die Arbeitskraft für e<strong>in</strong>e bestimmte Zeit gekauft und will sie auch über die<br />

gesamte Zeit kont<strong>in</strong>uierlich nutzen. Die <strong>in</strong> der handwerklichen Produktion üblichen Stockungen<br />

im Arbeitsablauf durch Wechsel des Werkzeugs, Umrüstung der Arbeitsmittel, traditionelle Pausen<br />

und vieles andere, die dem Handwerker als natürlicher Rhythmus se<strong>in</strong>er Arbeit ersche<strong>in</strong>en,<br />

s<strong>in</strong>d dem Käufer und Anwender der Arbeitskraft e<strong>in</strong> Gräuel. Er will optimale Ausbeute für se<strong>in</strong><br />

Geld.<br />

Die Arbeitskraft soll während der Arbeitszeit nicht ruhn. Jede ihrer Handbewegungen soll möglichst<br />

viel <strong>in</strong> Bewegung setzen! So lautete das Leitmotiv der Manufakturbetreiber im Übergang<br />

zum technisch organisierten Produktionsbetrieb. Die Zerlegung des komplexen Arbeitsvorgangs<br />

<strong>in</strong> viele E<strong>in</strong>zelschritte dient genau diesem Ziel. Natürlich kann e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelner Handwerker aus e<strong>in</strong>em<br />

Stück Draht e<strong>in</strong>e Nähnadel erzeugen. Aber wenn man die Herstellung e<strong>in</strong>er Nähnadel <strong>in</strong> die<br />

dafür notwendigen E<strong>in</strong>zelschritt zerlegt (zu M.s Zeit waren das bis zu 92 E<strong>in</strong>zelschritte), dann<br />

können 92 <strong>Teil</strong>arbeiter, jeder für se<strong>in</strong>en Arbeitsschritt durch Übung und Werkzeug spezialisiert,<br />

e<strong>in</strong> Vielfaches an Nähnadeln herstellen, als das 92 selbständige Handwerker <strong>in</strong> gleicher Zeit nebene<strong>in</strong>ander<br />

könnten. 269<br />

Die höhere Produktivität ergäbe sich auch, wenn ke<strong>in</strong>e Spezialisierung der Werkzeuge stattfände,<br />

sondern nur die Hand-<strong>in</strong>-Hand-Arbeit so organisiert würde, dass die <strong>Teil</strong>e ohne Verzögerung<br />

<strong>in</strong> die nächste Hand übergehen. Man könnte diese Intensifikation des Arbeitsprozesses deshalb<br />

auch als "<strong>in</strong>nere Verlängerung" der Arbeitszeit bezeichnen. M. nennt das die "dichtere Ausfüllung<br />

der Poren der Arbeitszeit." 270 Die äußeren Grenzen des Arbeitstags bleiben bestehen; das<br />

ganze Augenmerk ist darauf gerichtet, jede Sekunde der Arbeitszeit an jedem Arbeitsplatz zu<br />

nutzen.<br />

Aber e<strong>in</strong>e andere Konsequenz dieser Entwicklung trug viel mehr dazu bei, ihr den Weg zu ebnen.<br />

Denn durch die Zerlegung des Arbeitsprozesses <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>e, aufe<strong>in</strong>ander aufbauende Arbeitsschritte<br />

wird die handwerklich geschulte Arbeitskraft, die noch den gesamten Arbeitsprozess<br />

beherrscht, zunehmend entbehrlich. Die Arbeitskraft wurde massenhaft dequalifiziert, wie wir<br />

das heute nennen. 271 <strong>Das</strong> bedeutet Senkung der Lohnkosten für den Unternehmer, der jetzt<br />

ungelernte Arbeitskräfte und die noch billigere Frauen- und K<strong>in</strong>derarbeit <strong>in</strong> Massen verwerten<br />

kann. 272 Hier haben wir ihn schon, den relativen Mehrwert <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er primitiven Form, der uns als<br />

moderne Lohndrückerei erneut begegnet.<br />

Zu M.s Zeit ist das Fabriksystem der krönende Abschluß dieser Entwicklung: Was M. als "riesiges<br />

'Arbeitshaus' für die Manufakturarbeiter" bezeichnet, ist für ihn ohne Zweifel gleichzeitig e<strong>in</strong><br />

großer Fortschritt <strong>in</strong> Sachen Produktivkraft. Mit der Fabrik halten Wissenschaft und Technik<br />

endgültig E<strong>in</strong>zug <strong>in</strong> die Produktion und werden genauso e<strong>in</strong>gekauft wie Rohstoffe und andere<br />

Arbeitskräfte. Viele der Fabrikanten s<strong>in</strong>d selbst begabte Ingenieure, die den Arbeitsprozess unter<br />

ihrer Regie nach wissenschaftlichen und technischen Grundsätzen gestalten. Der E<strong>in</strong>satz der Arbeitskräfte<br />

wird bis <strong>in</strong> jeden Handgriff genauso geplant, wie man den E<strong>in</strong>satz <strong>von</strong> Masch<strong>in</strong>en<br />

plant, um jeden Handgriff der Arbeitskraft so verlustfrei zu organisieren, wie man die Reibungsverluste<br />

e<strong>in</strong>er Masch<strong>in</strong>e reduziert.<br />

Hier geht es nicht darum, P<strong>in</strong>kelpausen mit der Stoppuhr abzumessen, obwohl das durchaus dazu<br />

gehört. Es geht um die organisatorische und technische Gestaltung des gesamten Arbeitsprozesses:<br />

Dafür sorgen, dass jede Arbeitskraft nicht nur mit se<strong>in</strong>en zwei natürlichen, sondern mit<br />

vielen technischen Händen gleichzeitig arbeitet. Dank dieses neuartigen Herangehens brachte<br />

das durch Dampfmasch<strong>in</strong>en angetriebene Fabriksystem zu M.s Zeit e<strong>in</strong>e bis dah<strong>in</strong> beispiellose<br />

Intensivierung der Arbeit hervor. 273<br />

92

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