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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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Er<strong>in</strong>nern wir uns an e<strong>in</strong>e der Ausgangsfragen, die für die politische Ökonomie im 19. Jahrhundert<br />

im Mittelpunkt standen. Woher kommt der Reichtum der Nationen, das schnelle Wachstum<br />

<strong>von</strong> Produktion und Handel? Wo haben die rasant wachsenden Vermögen der Fabrikanten,<br />

Händler und Geldgeber ihre Wurzel? M. setzt sich im "Kapital" ausführlich mit diversen Versuchen<br />

ause<strong>in</strong>ander, den Strich am G' als Ergebnis der Zirkulation, also als Folge der Tauschakte zu<br />

erklären.<br />

Lektüre: <strong>Karl</strong> <strong>Marx</strong>: S.229<br />

In se<strong>in</strong>er Argumentation prüft M. die se<strong>in</strong>erzeit gängigen Argumente: Stammt der Gew<strong>in</strong>n aus<br />

Betrug und Schw<strong>in</strong>del? Oder aus der Neigung der Käufer, für bestimmte Waren über dem Wert<br />

zu zahlen? Auch andere populäre Erklärungen werden aufgegriffen und verworfen. Wir haben<br />

ähnliches bei unserem Selbstversuch zum Kapital-Begriff bereits probiert. (Wer daran noch nicht<br />

teilgenommen hat, sollte das jetzt nachholen.) Wir fanden, dass solche Erklärungen den<br />

Escher'schen Treppen gleichen, die auf den ersten Blick überzeugend wirken, sich bei genauerer<br />

H<strong>in</strong>sicht aber als ausgesprochen ziellos und gefährlich herausstellen. <strong>E<strong>in</strong>e</strong> spannende, und bei<br />

längerer Betrachtung sehr verwirrende bildliche Darstellung dieser Theorie vom Wertzuwachs<br />

durch Zirkulation liefert e<strong>in</strong> anderes Escher-Bild, das vom Wasserfall.<br />

Und wirklich, irgendwie er<strong>in</strong>nert der Versuch, den Wertzuwachs aus dem Tausch selbst zu erklären,<br />

an die Tricks, mit denen optische Täuschungen arbeiten. <strong>Das</strong> liegt an der speziellen Arbeitsweise<br />

der praktisch-tätigen Erkenntnis, mit der wir uns schon im Fetisch-Kapitel befaßt haben,<br />

und die wir auch unter ihrem Spitznamen "gesunder Menschenverstand" kennen. "Sieht<br />

man doch", sagt uns dieser Geselle: "Der Händler handelt und ist am Ende reicher. Also handelt<br />

er sich reich. Der Unternehmer <strong>in</strong>vestiert und ist am Ende reicher. Also macht ihn se<strong>in</strong> unternehmerisches<br />

Handeln reich." Und schnell s<strong>in</strong>d wir bereit, dem Offensichtlichen zuzustimmen.<br />

Warum ist der gesunde Menschenverstand so mächtig? Weil er erstens überwiegend nützlich<br />

und zweitens fast niemals völlig falsch liegt. Auch <strong>in</strong> unserem Fall: Natürlich hat das, was h<strong>in</strong>ten<br />

herauskommt, mit dem zu tun, was vorher getan wurde. Aber was man nicht so ohne weiteres<br />

sehen kann, ist das: Jedem Handel mit Waren geht irgendwo e<strong>in</strong>e Produktion der Waren voraus.<br />

Ebenso der Investition des Unternehmens: Sie führt nicht nur irgendwo zu neuer Produktion,<br />

sondern ihr g<strong>in</strong>gen selbst zahllose Produktionen voraus, die h<strong>in</strong>ter jeder Ware verborgen s<strong>in</strong>d.<br />

In gewisser Weise ähnelt der gesunde Menschenverstand der hier abgebildeten Trickzeichnung:<br />

Sche<strong>in</strong>bar erhält man durch e<strong>in</strong>fache Umgruppierung derselben <strong>Teil</strong>e aus dem unteren Dreick<br />

zum oberen Dreieck e<strong>in</strong>en Flächenzuwachs. Unsere Verblüffung erwächst aus unserer Bereitschaft,<br />

zunächst das Sichtbare, nämlich die sche<strong>in</strong>bare Gleichheit der Umrisse und die offensichtliche<br />

Ungleichheit der Fläche, zu akzeptieren. Erst genauere Prüfung ("wissenschaftliche<br />

Analyse") deckt h<strong>in</strong>ter dem Sichtbaren die nicht sofort sichtbaren Zusammenhänge auf. In diesem<br />

Fall: Die zusammengesetzten Dreiecke sehen nur gleich aus. <strong>Das</strong> rote und das grüne Dreick<br />

werden im oberen Puzzle zu e<strong>in</strong>er nach unten gewölbten, im unteren Puzzle zu e<strong>in</strong>er nach oben<br />

gewölbten Figur verbunden. Der Unterschied ist praktisch nicht sichtbar, entspricht aber der im<br />

unteren Dreieck fehlenden Fläche.<br />

M. geht da<strong>von</strong> aus, dass der "clevere Handel" natürlich e<strong>in</strong>zelne bereichert; das funktioniert<br />

nach denselben Regeln, nach denen auch jeder ord<strong>in</strong>äre Diebstahl reicher macht. Aber daraus<br />

erwächst ke<strong>in</strong> neuer Wert, nur e<strong>in</strong>e Umverteilung. Deshalb erklärt die räuberische Praxis des frühen<br />

Handelskapitals durchaus den kometenhaften Aufstieg mächtiger Handelshäuser. Die eigneten<br />

sich nämlich e<strong>in</strong>en großen Batzen vom Mehrprodukt an, das sich die feudalen Herren zuvor<br />

durch Ausbeutung ihrer Landesk<strong>in</strong>der angeeignet hatten.<br />

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