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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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In der Geschichte des Geldes gab es viele verschiedene Waren, die <strong>in</strong> die allgeme<strong>in</strong>e Wertform gestellt wurden,<br />

und die uns heute höchst merkwürdig anmuten: So besaß Island nach Verordnungen <strong>von</strong> 1413 und 1426 e<strong>in</strong><br />

jahrhundertelang gültiges Register mit Festsetzungen für Preise <strong>in</strong> Dörrfisch. Hufeisen kosteten je e<strong>in</strong>en Fisch, e<strong>in</strong><br />

paar Frauenschuhe drei Dörrfische usw. In Alaska und Sibirien wurde der Warentausch noch bis <strong>in</strong> das 19. Jahrhundert<br />

über Felle geregelt, und der russische Zar Peter (genannt "der Große") bezahlte se<strong>in</strong>e Beamten <strong>in</strong> den<br />

entlegenen Regionen noch mit e<strong>in</strong>em <strong>Teil</strong> der Felle, die <strong>von</strong> diesen zuvor als Steuern e<strong>in</strong>getrieben worden waren.<br />

Bunte Schnecken und Muscheln dienten an afrikanischen Küsten im 17. und 18. Jahrhundert als Zahlungsmittel.<br />

Die Kauris, kle<strong>in</strong>e, aus dem <strong>in</strong>dischen Ozean stammende Schneckengehäuse, gelangten als gültiges Zahlunsmittel<br />

<strong>von</strong> Afrika bis nach Nordost<strong>in</strong>dien, Burma und Ch<strong>in</strong>a, wo sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Landesteilen noch bis um 1800 als<br />

Zahlungsmittel genutzt wurden (Fernand Braudel: Sozialgeschichte des 15. - 18. Jahrhunderts. 3 Bände; Frankfurt<br />

1990).<br />

125 <strong>Das</strong> Beispiel ist ke<strong>in</strong>eswegs abwegig. Als Webprodukt, das aus dem Flachs gewonnen wird, war die Le<strong>in</strong>enherstellung<br />

über Jahrhunderte e<strong>in</strong> weit verbreitetes Gewerbe, zunächst <strong>Teil</strong> der bäuerlichen Wirtschaft, dann<br />

auch als eigenständiges Handwerk. Die Verarbeitung <strong>von</strong> Flachs (kämmen, sp<strong>in</strong>nen, weben) war allgeme<strong>in</strong> bekannt.<br />

Zweifellos wäre Le<strong>in</strong>wand und andere Stoffe für die Äquivalentform e<strong>in</strong>e durchaus geeignete Ware, um als<br />

Wertmaßstab zu dienen.<br />

In Ch<strong>in</strong>a waren es Seidenballen bestimmer Größe, die für die allgeme<strong>in</strong>e Wertform genutzt wurden. Am Golf <strong>von</strong><br />

Gu<strong>in</strong>ea zur Zeit des Sklavenhandels wurde der Wert e<strong>in</strong>es schwarzen Sklaven zwischen 15 und 40 Jahren <strong>in</strong> <strong>in</strong>dischem<br />

Baumwollstoff gemessen; das pièce d'Inde wurde sogar zum Fachbegriff der Sklavenhändler für die Sklavenware<br />

selbst. E<strong>in</strong> Missionar berichtet 1728 <strong>von</strong> den Maßnahmen der englischen Kaufleute, den Sklavenhandel<br />

zu vere<strong>in</strong>fachen. Sie setzten den Preis e<strong>in</strong>es Sklaven e<strong>in</strong>fach auf vier Unzen Gold oder dreißig Silberpiaster fest,<br />

was e<strong>in</strong>em Dreiviertelpfund Korallen oder sieben Stück schottischen Stoffs entsprach. Da zur selben Zeit e<strong>in</strong> Araberpferd<br />

mit dem Wert <strong>von</strong> 15 schwarzen Sklaven berechnet wurde, sieht man sofort die Vorteile der allgeme<strong>in</strong>en<br />

Wertform: Man könnte den Gaul auch für 60 Unzen Gold oder für 105 Stück schottischen Stoffs erwerben<br />

(Diese Beispiele und auch die oben erwähnten Beispiele mit Dörrfisch und Co. entnehmen wir der lesenswerten<br />

Wirtschaftsgeschichte <strong>von</strong> Fernand Braudel: Sozialgeschichte des 15. - 18. Jahrhunderts. 3 Bände; Frankfurt<br />

1990.<br />

126 Über die Geldform sagt M.: "Die Notwendigkeit dieser Form entwickelt sich mit der wachsenden Anzahl und<br />

Mannigfaltigkeit der <strong>in</strong> den Austauschprozeß e<strong>in</strong>tretenden Waren. Die Aufgabe entspr<strong>in</strong>gt gleichzeitig mit den<br />

Mitteln ihrer Lösung. E<strong>in</strong> Verkehr, wor<strong>in</strong> Warenbesitzer ihre eignen Artikel mit verschiednen andren Artikeln austauschen,<br />

und vergleichen, f<strong>in</strong>det niemals statt, ohne daß verschiedne Waren <strong>von</strong> verschiednen Warenbesitzern<br />

<strong>in</strong>nerhalb ihres Verkehrs mit e<strong>in</strong>er und derselben dritten Warenart ausgetauscht und als Werte verglichen werden.<br />

Solche dritte Ware, <strong>in</strong>dem sie Äquivalent für verschiedne andre Waren wird, erhält unmittelbar, wenn auch<br />

<strong>in</strong> engen Grenzen, allgeme<strong>in</strong>e oder gesellschaftliche Äquivalentform. Diese allgeme<strong>in</strong>e Äquivalentform entsteht<br />

und vergeht mit dem augenblicklichen gesellschaftlichen Kontakt, der sie <strong>in</strong>s Leben rief. Abwechselnd und flüchtig<br />

kommt sie dieser oder jener Ware zu. Mit der Entwicklung des Warenaustausches heftet sie sich aber ausschließlich<br />

fest an besondere Warenarten oder kristallisiert zur Geldform. An welcher Warenart sie kleben bleibt,<br />

ist zunächst zufällig. Jedoch entscheiden im großen und ganzen zwei Umstände. Geldform heftet sich entweder<br />

an die wichtigsten E<strong>in</strong>tauschartikel aus der Fremde, welche <strong>in</strong> der Tat naturwüchsige Ersche<strong>in</strong>ungsformen des<br />

Tauschwerts der e<strong>in</strong>heimischen Produkte s<strong>in</strong>d, oder an den Gebrauchsgegenstand, welcher das Hauptelement<br />

des e<strong>in</strong>heimischen veräußerlichen Besitztums bildet, wie z.B. Vieh. Nomadenvölker entwickeln zuerst die Geldform,<br />

weil all ihr Hab und Gut sich <strong>in</strong> beweglicher, daher unmittelbar veräußerlicher Form bef<strong>in</strong>det, und weil ihre<br />

Lebensweise sie beständig mit fremden Geme<strong>in</strong>wesen <strong>in</strong> Kontakt br<strong>in</strong>gt, daher zum Produktenaustausch sollizitiert.<br />

Die Menschen haben oft den Menschen selbst <strong>in</strong> der Gestalt des Sklaven zum ursprünglichen Geldmaterial<br />

gemacht, aber niemals den Grund und Boden. (...) In demselben Verhältnis, wor<strong>in</strong> der Warenaustausch se<strong>in</strong>e nur<br />

lokalen Bande sprengt, der Warenwert sich daher zur Materiatur menschlicher Arbeit überhaupt ausweitet, geht<br />

die Geldform auf Waren über, die <strong>von</strong> Natur zur gesellschaftlichen Funktion e<strong>in</strong>es allgeme<strong>in</strong>en Äquivalents taugen,<br />

auf die edlen Metalle." (MEW 23, S.103f) Auch dieses Zitat ist e<strong>in</strong> typisches Beispiel für die strukturelle Herleitung<br />

des Geldes aus den Bed<strong>in</strong>gungen der Warenproduktion und aus dem historischen Stoff heraus.<br />

127 "Die spezifische Warenart nun, mit deren Naturalform die Äquivalentform gesellschaftlich verwächst, wird<br />

zur Geldware oder funktioniert als Geld. Es wird ihre spezifisch gesellschaftliche Funktion, und daher ihr gesell-<br />

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