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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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dert, der ja e<strong>in</strong>e uniforme Armee der Arbeitskräfte nahelegt. Aber wenn M. <strong>von</strong> der "Vermehrung des Proletariats"<br />

spricht, me<strong>in</strong>t er das, was er sagt: Ausweitung der Lohnabhängigkeit. Mit der Akkumulation erobert das Kapitalverhältnis<br />

praktisch alle Bereiche der bürgerlichen Gesellschaft. Die Zahl der Menschen, die ihren Lebensunterhalt<br />

nur durch Verkauf ihrer Arbeitskraft sichern können, wächst parallel, ob das Arbeiter bei Daimler, Buchhalter<br />

der Sparkassen, freie Mitarbeiter beim WDR oder Verkäufer beim Media-Markt s<strong>in</strong>d. Und tatsächlich ist es<br />

diese Lohnabhängigkeit, die ihre Lebenslage bestimmt und ihre Unterordnung unter das Oberkommando der<br />

Verwertung zur Folge hat. <strong>Das</strong> ist allen Angehörigen der "Armee" wie auch der "Reserve" geme<strong>in</strong>sam, sozusagen<br />

ihre Uniform. Aber damit haben wir die Metapher mehr als strapaziert.<br />

Denn der Akkumulationsprozess br<strong>in</strong>gt eben nicht soziale Gleichförmigkeit hervor; wenn dem so wäre, wäre jede<br />

Art <strong>von</strong> Gegenwehr viel e<strong>in</strong>facher. Im Gleichschritt stapmfende Arbeitermassen? Uniformiert mit Drillichanzug<br />

und Schiebermütze? Und die Funktionäre erkennt man an ihren Ledermänteln und der schwarzen Aktentasche...<br />

<strong>Das</strong> s<strong>in</strong>d Schreckensbilder aus den Geschichtstunden des deutschen Fernsehens oder prolet-kultige Verirrungen <strong>in</strong><br />

der Arbeiterbewegung, die mit M. nur am Rande zu tun haben. Der hebt als bestimmendes Merkmal die soziale<br />

Differenzierung des Gesamtarbeiters hervor, was ja nur e<strong>in</strong>e polit-ökonomische Bezeichnung für die Arbeiterklasse<br />

ist. Mehr als die Hälfte des 23. Kapitels im ersten Band des "Kapital" widmet sich der Frage, wie dem Akkumulationsprozess<br />

die soziale Differenzierung des Gesamtarbeiters entspr<strong>in</strong>gt. Von den Untersuchungen im 13.<br />

Kapitel sowie <strong>in</strong> den Kapiteln 17 bis 20 ganz abgesehen.<br />

Bei den vielen Unterstellungen der <strong>Marx</strong>-Versteher weiß man nie mit Sicherheit, ob sie auf Unkenntnis oder auf<br />

f<strong>in</strong>stere Motive zurückgehen. Doch was solls? Wir gehen an dieser Stelle auf e<strong>in</strong>e dieser Verhohnepipelungen <strong>von</strong><br />

M.s Theorie auch nur deshalb e<strong>in</strong>, um zu erklären, wie wenig uns das ansonsten juckt. Wir s<strong>in</strong>d das gewöhnt.<br />

Der lesenswerte (nicht-marxistische) Ökonom Galbraith sagte e<strong>in</strong>mal über das "Kapital", es gehöre zusammen<br />

mit der Bibel und dem "Wohlstand der Nationen" <strong>von</strong> Adam Smith zu den drei Büchern, auf die man sich<br />

sche<strong>in</strong>bar nach Belieben berufen dürfe, ohne sie gelesen zu haben. So ist es.<br />

347 Ganz so def<strong>in</strong>ieren auch unsere Sozialgesetze den Arbeitslosen. Se<strong>in</strong> wichtigstes Merkmal ist se<strong>in</strong>e wirkliche<br />

und sofortige Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt: Wo er nachgefragt wird, muß er auch greifbar se<strong>in</strong>, wie e<strong>in</strong>e xbeliebige<br />

Ware im Regal des Supermarkts.<br />

348 Noch mal der H<strong>in</strong>weis für alle, die über die ersten Kapitel unserer Reise schnell h<strong>in</strong>weggegangen s<strong>in</strong>d: M.<br />

sp<strong>in</strong>tisiert hier nichts aus irgendwelchen Formeln und Schematas heraus, sondern sieht sich <strong>in</strong> Auswertung umfangreichen<br />

statistischen Materials die Entwicklung der Lohnarbeitsverhältnisse vor se<strong>in</strong>er Haustür an und kommt<br />

dabei zu den <strong>von</strong> uns komprimierten Schlußfolgerungen. M.s Feststellungen s<strong>in</strong>d zunächst Erklärungen für das,<br />

was sich vor se<strong>in</strong>en Augen tatsächlich abspielt. Als e<strong>in</strong>e notwendige Begleitersche<strong>in</strong>ung der kapitalistischen Akkumulation<br />

bezeichnet M. die <strong>in</strong>dustrielle Reservearmee erst, nachdem er die Akkumulation als wirklichen historischen<br />

Prozess analysiert hat und se<strong>in</strong> Verlauf mit se<strong>in</strong>en Annahmen zu Mehrwert und Akkumulation übere<strong>in</strong>stimmt.<br />

<strong>Das</strong> ist hier wie überall im "Kapital" e<strong>in</strong>e Analyse aus dem historischen Stoff heraus. Der dient nicht bloß<br />

zur Illustration, sondern ist Ausgangspunkt wie Zielpunkt <strong>in</strong> M.s politischer Ökonomie. Ob die Annahme e<strong>in</strong>er für<br />

die kapitalistische Akkumulation unvermeidlichen Reservearmee stimmt, werden wir für se<strong>in</strong>e sehr viel umfassenderen<br />

Schlußfolgerungen etwas später diskutieren.<br />

349 Wir vernachlässigen hier die Veränderungen im Lohn. M. diskutiert das ausführlicher. Es ist aber klar, dass<br />

die Veränderungen im variablen Kapital nicht unbed<strong>in</strong>gt die wirklichen Veränderungen <strong>in</strong> der Menge der e<strong>in</strong>gesetzten<br />

lebendigen Arbeit wiedergeben. <strong>E<strong>in</strong>e</strong> direkte Repräsentation der e<strong>in</strong>gesetzten Arbeitsmenge haben wir<br />

nur für den Fall gleichbleibender Löhne. Und das ist e<strong>in</strong>e Situation, die ebenso selten ist wie die Übere<strong>in</strong>stimmung<br />

<strong>von</strong> Preis und Wert.<br />

In Phasen ansteigender Löhne kann das variable Kapital zu Lasten des konstanten Kapitals entgegen der Tendenz<br />

kurzfristig sogar zunehmen. Spätestens dann aber werden gegenwirkende Maßnahmen e<strong>in</strong>geleitet, um den<br />

Druck der Lohnkosten auf den Gew<strong>in</strong>n zu m<strong>in</strong>dern. Wenn das nicht funktioniert, weil alle Reserven zur Lohnsenkung<br />

durch Technisierung ausgeschöpft s<strong>in</strong>d? Dann werden solche Gewerbezweige entweder als Segmente der<br />

Luxusproduktion überleben oder ganz verschw<strong>in</strong>den.<br />

Letzteres führt dann zu den alltäglichen Klagen, dass Waren bestimmter Qualität überhaupt nicht mehr zu bekommen<br />

s<strong>in</strong>d. So verschw<strong>in</strong>den etwa Lebensmittel, die hohen Arbeitsaufwand erfordern, gegenüber <strong>in</strong>dustriell<br />

gefertigtem Ersatz vom Markt. Individuell vom Schneider gefertigte Kleidung ist (außerhalb des Luxussegments)<br />

vollständig durch konfektionierte Massenware verdrängt worden. Handwerklich gefertigte Brotwaren s<strong>in</strong>d seit<br />

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