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Spurensuche Teil 1. Eine Studienreise in "Das Kapital" von Karl Marx

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Voraussagen daneben gegangen s<strong>in</strong>d. Man könne nie genau sagen, wann denn e<strong>in</strong>e marxistische<br />

Prognose schlicht falsch und wann sie nur "dialektisch widersprüchlich" sei. Was stimmt an<br />

diesen Vorwürfen? Was könnte "Falsifizierbarkeit" für die Politische Ökonomie bedeuten?<br />

Zum Thema Prognosen haben wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er anderen Zwischenfrage schon e<strong>in</strong>iges abgearbeitet. Es<br />

ist klar: Wenn e<strong>in</strong>e Theorie so elastisch aufgebaut ist, dass sie sich am Ende praktisch immer bewahrheitet,<br />

kann man damit nichts anfangen. <strong>Das</strong> wäre ja auch nicht Analyse, nicht Aufdeckung<br />

der Entwicklung, sondern bestenfalls Beschreibung, der man nachträglich e<strong>in</strong>e Erklärung mit<br />

dem Ausruf "Haben wir immer schon gesagt" unterschiebt. Dann wäre man dem Mann vergleichbar,<br />

der mit Pfeil und Bogen schießt, um den Pfeil e<strong>in</strong>e Schießscheibe malt und sich als<br />

großen Schützen feiert.<br />

Tatsächlich s<strong>in</strong>d solche Ex-post-facto Beiträge, also rückblickende Erklärungen, wenn alles schon<br />

gelaufen ist, im marxistischen Lager nicht selten. Und <strong>in</strong> allen anderen Lagern auch nicht. In diesen<br />

Beiträgen geht es auch nicht unbed<strong>in</strong>gt darum, Recht zu behalten. Man kann schlicht nicht<br />

anders verfahren. Wie sollte z.B. die Geschichtsforschung anders arbeiten, als zu versuchen, bereits<br />

erfolgte Entwicklungen, Geschichte eben, zu beschreiben und dafür rückblickend vernünftige<br />

Erklärungen zu f<strong>in</strong>den? Der Versuch, e<strong>in</strong>e bestimmte Entwicklung nachträglich zu erklären,<br />

ist also ke<strong>in</strong>eswegs verwerflich. Allerd<strong>in</strong>gs muß man darauf achten, dass sich die Erklärungen e<strong>in</strong>er<br />

nachprüfbaren Methode bedienen und alle verfügbaren Fakten e<strong>in</strong>beziehen.<br />

Wer allerd<strong>in</strong>gs behauptet, die marxistische Theorie sei wie Knetgummi formbar und praktisch<br />

nicht zu wiederlegen, da für alles, was ihr widerspricht, e<strong>in</strong> dialektischer W<strong>in</strong>kelzug ausreiche,<br />

um auch den widers<strong>in</strong>nigsten Tatbestand als Bestätigung zu nutzen, der irrt. Der Vorwurf der<br />

"Nicht-Falsifizierbarkeit" und daher Beliebigkeit <strong>in</strong> M.s Richtung ist blöds<strong>in</strong>nig.<br />

M.s strukturelle Analyse formuliert (implizit) e<strong>in</strong>e Vielzahl <strong>von</strong> Formbildungen, deren historischer<br />

Nachweis e<strong>in</strong>e gründliche Revision oder gar Entsorgung der Theorie erfordern würde. <strong>E<strong>in</strong>e</strong> entwickelte<br />

Warenproduktion ohne Geld? Knockout für M. E<strong>in</strong> krisenfreier Kapitalismus? Knockout<br />

für M. Ja, sogar wenn morgen die Eigentümer der 100 größten transnationalen Konzerne ihre<br />

Aktien an die UNO abtreten und ihr e<strong>in</strong> umfassendes Mandat für die Weltwirtschaftsplanung<br />

übertragen, könnten wir uns getrost als falsifiziert betrachten und die blauen Bände als Klopapier<br />

recyceln. Doch bevor dergleichen passiert, wird eher e<strong>in</strong>er <strong>von</strong> uns zum Papst gewählt.<br />

Im Übrigen ist auch der Zusammenbruch der sozialistischen Länder, so oder so, e<strong>in</strong>e deutliche<br />

Falsifizierung ihrer Praxis und der sie rechtfertigenden Theorie. Aber statt <strong>von</strong> "Falsifizierbarkeit"<br />

reden wir als M.s Erben besser <strong>von</strong> der Praxis als Prüfste<strong>in</strong>. Wie aber das Beispiel der sozialistischen<br />

Länder zeigt, hat <strong>in</strong> der Tat die stete Rückbeziehung der theoretischen Grundlagen auf die<br />

gesellschaftliche Praxis, die kont<strong>in</strong>uierliche und unabhängige Überprüfung des Erfolgs, sozusagen<br />

e<strong>in</strong> scharfes und unnachsichtiges Monitor<strong>in</strong>g jedes sozialistischen Experiments, praktisch gefehlt.<br />

<strong>Das</strong> war e<strong>in</strong> verhängnisvoller Schwachpunkt.<br />

Die Frage nach der "Falsifizierbarkeit" deckt durchaus e<strong>in</strong>e Schwachstelle <strong>in</strong> der Praxis der marxistischen<br />

Theorie auf. Ohne <strong>in</strong>tegrierte Kontrolle besteht die Gefahr, dass man sich e<strong>in</strong> genehmes<br />

Bild schnitzt und sich dazu aus der Theorie wie aus e<strong>in</strong>em Lego-Baukasten bedient, gerade<br />

so, wie es e<strong>in</strong>em <strong>in</strong> den Kram passt. Die Krisendeuter und Problemradierer der anderen Seite liefern<br />

derzeit für diese Variante der Wissenschaft genügend abschreckende Beispiele. Insofern fällt<br />

der Ste<strong>in</strong>, der gegen die <strong>Marx</strong>isten erhoben wird, den Ste<strong>in</strong>hebern nach guter Mao-Manier 509<br />

zunächst mal auf die eigenen Füße.<br />

Dennoch gibt es Nachholbedarf was freiwillige Selbstkontrolle und Prüfbarkeit der marxistischen<br />

Positionen betrifft. Die eigenen Analysen durch Daten zu belegen sollte vor allem <strong>in</strong> der marxis-<br />

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