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Ein Entwurf des publizistischen Kriteriums „Sensibilität“

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ausfüllen. Dabei komme ich mir wie in der Schule vor, wo ich<br />

immer schlechte Noten bekam. Jetzt habe ich mit meiner<br />

Krankheit genug zu kämpfen und brauche nicht noch eine<br />

schlechte Note. Aber ich kann sie trösten, die Texte in Ihrer<br />

Zeitschrift verstehe ich ganz gut. Und was soll das eigentlich<br />

bringen? Sie können doch nicht jeden Text, den Sie<br />

veröffentlichen wollen, vorher von den Lesern testen lassen.“<br />

Uwes Vorbehalt ist ein Beispiel für die Schwierigkeiten, einen<br />

Verständlichkeitstest zu organisieren. Bevor 1996 schließlich der Test<br />

durchgeführt werden konnte, waren einige Hürden aus dem Weg zu räumen.<br />

Noch während der Planungsphase fragte sich die Redaktion genau das, was<br />

Uwe ausgedrückt hat. Das Ergebnis eines Verständlichkeitstests kann nur für<br />

den einen getesteten Text Geltung besitzen. Man müßte theoretisch jede<br />

Ausgabe vor dem Erscheinen komplett mit einer größeren Anzahl von<br />

Versuchspersonen testen. Doch dieses Verfahren ist unrealistisch, weil nicht<br />

finanzierbar.<br />

<strong>Ein</strong> Verständlichkeitstest konnte also nur Indizien für die redaktionelle Arbeit<br />

liefern. Er ließ auch ungefähre Aussagen über die Aufnahme- und<br />

Merkfähigkeit sowie das allgemeine Verständnis der Leser zu. Diese Punkte<br />

rückten im weiteren Verlauf der Planung immer mehr in den Vordergrund. Das<br />

Ergebnis <strong>des</strong> Tests beeinflußte die redaktionelle Arbeit der „Autoimmun“<br />

wenig, weil der Schreibstil schon längst entwickelt war. Die Ergebnisse hatten<br />

aber eine Apellfunktion an die Redaktion. Neueingeführte medizinische<br />

Fremdwörter wurden nicht nur einmal, sondern öfter erklärte und durch<br />

deutsche Wörter ersetzt.<br />

Aber was ist „Verständlichkeit“ überhaupt? Der amerikanische Journalist Carl<br />

Warren sagte 1953, daß wissenschaftliche Themen popularisiert werden<br />

müssen: „Popularisieren, das heißt allgemeinverständlich machen, ist eine<br />

Kunst, die den Männern in Forschungslaboratorien nicht liegt, die der Reporter<br />

aber beherrschen muß.“ 242 Doch ab wann kann man erwarten, daß ein<br />

Rezipient einen Text verstanden hat? Hierzu entwickelte Helmut Seiffert eine<br />

Reihe von Thesen, wobei die dritte bemerkenswert ist:<br />

„‘Verständlichkeit‘ ist kein absoluter Begriff, sondern immer auf das<br />

Vorwissen <strong>des</strong> jeweiligen Lesers oder Hörers bezogen.<br />

‚Verständlichkeit‘ kann daher immer nur heißen, daß der Leser<br />

oder Hörer grundsätzlich in der Lage sein muß, sich Schritt für<br />

Schritt das Verständnis <strong>des</strong>sen zu erschließen, von dem die Rede<br />

ist. <strong>Ein</strong> Beispiel. Der Satz ‚Das Quadrat über der Hypotenuse ist<br />

gleich der Summe der Quadrate über den Katheten‘ ist nur dem,<br />

aber auch jedem verständlich, der weiß, was ein Quadrat, eine<br />

Summe, eine Hypotenuse und eine Kathete ist“. 243<br />

242 Warren, Carl, ABC <strong>des</strong> Reporters – <strong>Ein</strong>führung in den praktischen<br />

Journalismus, München 1953, S. 162.<br />

243 Seiffert, Helmut, Fünf Thesen zur „Verständlichkeit“, in: Hansen,<br />

Klaus (Hrsg.), Verständliche Wissenschaft – Probleme der<br />

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