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Ein Entwurf des publizistischen Kriteriums „Sensibilität“

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Immer wieder konnte ich mich selbst darin finden. Dies beruhigte mich und ich<br />

drückte die Klingel.<br />

<strong>Ein</strong> junger Mann, sein Sohn, öffnete mir und zeigte mir den Weg in die Küche.<br />

Dort traf ich den Professor. Man plauderte über dies und jenes und natürlich<br />

auch über die Krankheit. Wie ein lästiger Wurm schleicht sie sich immer weiter<br />

in mich. Pausenlos kann ich sie spüren, aber noch nicht jeder kann sie sehen.<br />

Die Angst davor, langsam auch denk- und sprechunfähig zu werden, ist<br />

begründet. Ich befinde mich schon seit einiger Zeit auf einer seelischen<br />

Achterbahn.<br />

Wie gelähmt höre ich Franke zu, als er mir von seinen eigenen, dagewesenen<br />

Beschwerden erzählt. Was stand mir noch alles bevor? Viele Gedanken<br />

wirbelten mir durch den Kopf. Als er mir eine Behandlung mit DSG versprach,<br />

war ich vollkommen überwältigt. Große Zuversicht und Dankbarkeit ihm<br />

gegenüber stiegen in mir auf. Später beim gemeinsamen Mittagessen war es<br />

dann besonders gemütlich. Der freudige Gedanke an die bevorstehende<br />

Behandlung mit DSG ließ mich nicht mehr los. Auf dem Rückweg im Flugzeug<br />

gab ich mich ganz diesem triumphalen, fast schon schmerzhaften Hochgefühl<br />

hin: „Endlich Licht“, dachte ich.<br />

Ich schreite über einen langen roten Teppich. Der düstere Gang scheint nicht<br />

enden zu wollen. Nach und nach kann ich im Dunklen erkennen, wie stumme<br />

Gestalten dichtgedrängt links und rechts vom roten Teppich stehen. Meine<br />

Beine werden schwer, ich gehe weiter. Plötzlich stehe ich vor einem goldenen<br />

Tor. Man kann sogar die Stille hören. Mein Atem stört jetzt. Wie von<br />

Geisterhand öffnet sich das Tor. Zwei elegante Silhouetten säumen den<br />

<strong>Ein</strong>gang zu einem weißen Marmorsaal. Gespenstisch weichen sie zurück, als<br />

ich eintrete. Posaunen und Trompeten schmettern die Overtüre zu Verdis<br />

Aida. Der Himmel hängt voller Geigen. Engel sind bestellt. Mein weißer Thron<br />

inmitten <strong>des</strong> Saales ist umgeben von emsigen Halbgöttern in weiß. Ich<br />

erkenne sie alle wieder. Man ist jetzt aufeinander angewiesen. Ohne fremde<br />

Hilfe besteige ich den Thron und lasse mich hineingleiten.<br />

Infusionen<br />

„Autsch!“ Der Pieks mit der Nadel führte mich in die Realität zurück. Natürlich<br />

war das Ganze nur ein Traum gewesen. Nichts von alledem war da. Auch<br />

Arztkittel waren nur in meiner Phantasie zu finden. Draußen regnete es ein<br />

wenig. Ich saß auf einem Sofa in einem nüchternen Raum, wo gearbeitet<br />

wurde und bekam meine erste DSG-Infusion. Farblos tropfte sie in mich<br />

hinein.<br />

Nach einiger Zeit kam Franke, schaute nach mir und gab mir einige<br />

persönliche Ratschläge. Er informierte mich auch darüber, daß ich sehr<br />

wahrscheinlich eine sogenannte „ Reise in die Vergangenheit“ erleben werde:<br />

alle dagewesenen Symptome könnten nochmals auftreten. Weder deren<br />

Heftigkeit noch Dauer sollten mir aber die Zuversicht rauben.<br />

Stundenlang, Tag für Tag tropfte nun diese Substanz in meinen Körper. Ich<br />

war umgeben von unkomplizierten, lieben Menschen. Abends dann, als ich<br />

allein war, erinnerte ich mich an die Worte, die einmal eine Jugendfreundin vor<br />

vielen Jahren zu mir sprach: „Meine Liebe, immer wenn Du denkst, es geht<br />

nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her...“ Ja, so einfach war das.<br />

Ich fühlte mich gut, als ich zum zweiten Infusionszyklus kam. Das war nicht<br />

immer so. In der Zeit zuvor wurde ich tatsächlich zum Passagier auf meiner<br />

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