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Ein Entwurf des publizistischen Kriteriums „Sensibilität“

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Methode soll die Wandlung der <strong>Ein</strong>stellung von Medien und Medizin zum Thema<br />

Krebs zeigen. In einer weiteren angebundenen Untersuchung verglich der Autor<br />

<strong>des</strong>kriptiv „Querschnitt“-Texte aus den Jahren 1978, 1980 und 1984 der<br />

Publikationen „Der Spiegel“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und „Bild-Zeitung“.<br />

Die Ergebnisse der Frequenzanalyse zeigen, daß im Laufe der Jahre das Thema<br />

Krebs im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ zu mehr Bedrohtheitsgefühlen und<br />

Betroffenheit geführt hat. Pietzsch sagt:<br />

„In den sechziger Jahren noch war Krebs für die Öffentlichkeit ein<br />

maschinell besiegbarer Gegner. Wer auf dem Mond landen<br />

konnte, würde auch den Krebs ausrotten. Diese Rechnung ging<br />

nicht auf. Diese Grenzen <strong>des</strong> Fortschritts wurden sichtbar, auch in<br />

der Medizin, und der Mensch hatte sich darauf einzurichten.<br />

Krebsbetroffenheit wurde als eine mögliche Dimension <strong>des</strong><br />

menschlichen Lebens thematisiert. Jedem <strong>Ein</strong>zelnen droht Krebs:<br />

Das läßt allen Menschen Raum zu eigenem Handeln, sei es durch<br />

Vorbeugung, Krankheitsbewältigung oder durch bewußtes Sterben<br />

– wenn die ‚grausamen Therapeuten‘ das zulassen.“ 121<br />

Die vergleichende Analyse der drei Medien zum Thema Krebsberichterstattung<br />

führte den Autor zu den Erkenntnissen:<br />

„1. ‚Der Spiegel‘ verwendet das Thema Krebs – aufbauend auf<br />

umfasssendem und präzisem Archivwissen – gerne als Kompaß<br />

für eine Erkundung der gesellschaftlichen Verhältnisse.<br />

Wohlbegründet spielt die Krankheit Krebs so die Rolle einer<br />

Metapher, in der sich aktuelle Stimmungen und Strömungen<br />

sinnbildhaft verdichten. 2. Die ‚FAZ‘ richtet ihre<br />

Krebsberichterstattung primär an den Kriterien der ‚scientific<br />

community‘ aus. Dort vor allem will sie anerkannt sein. Die äußere<br />

Aufmachung ist so dröge, daß niemand von ihr zum Lesen verlockt<br />

werden könnte, der dies nicht ohnehin vorhatte. Die Texte<br />

allerdings sind gründlich recherchiert, durchdacht aufgebaut und<br />

durchaus kritisch. 3. Für die ‚Bild-Zeitung‘ hat Krebs eine ähnliche<br />

Qualität wie Sex. Beide Themen sind gleichermaßen intim und<br />

öffentlich, schlüssellochbezogen, also schlagzeilenträchtig. Über<br />

beide Themen wollen die Menschen lieber etwas von anderen<br />

hören, als selbst darüber zu reden. Wenn es den Krebs nicht<br />

gäbe, würde ‚Bild‘ ihn erfinden.“ 122<br />

Als lebhaftes Beispiel untersucht Pietzsch die Diskussion um den Botenstoff<br />

Interferon, der 1980 als Wundermittel gegen Krebs in den drei untersuchten Medien<br />

gehandelt wurde. 123 Letztendlich erwiesen sich die Interferone bei den meisten<br />

Krebsarten als unwirksam. Anfang der neunziger Jahre begann eine verstärkte<br />

Diskussion um den <strong>Ein</strong>satz von Interferon-Beta bei der Multiplen Sklerose.<br />

Ähnlichkeiten in der Berichterstattung der von Pietzsch untersuchten Medien – wenn<br />

121 Ebenda, S. 135.<br />

122 Ebenda, S. 137.<br />

123 Ebenda, S. 114ff.<br />

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