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Ein Entwurf des publizistischen Kriteriums „Sensibilität“

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langsame, aber stetige Verbreitung der schrecklichen Wahrheit unter der<br />

Bevölkerung.<br />

Angehörige wurden mißtrauisch und schalteten ihren Hausarzt oder Pfarrer<br />

ein, Vormundschaftsrichter wiesen die Anstaltsleitung vorsorglich darauf hin,<br />

daß ihre Mündel nicht ohne richterliche Zustimmung verlegt werden konnten.<br />

Langsam formierte sich ein individueller Protest gegen das massenhafte<br />

Morden.<br />

Anstaltsleiter, wie etwa Inspektor Hermann von den Zieglerschen Anstalten<br />

Wilhelmsdorf bei Ravensburg verweigerten die Mitarbeit; es wurden<br />

Meldebögen gefälscht oder Pfleglinge überstürzt nach Hause entlassen. Der<br />

Pastor Paul Gerhard Braune wandte sich mit einer Denkschrift im Sommer<br />

1940 sogar an Hitler und wanderte dafür etliche Monate in Gestapohaft.<br />

Doch es sollte noch fast ein Jahr vergehen, bis mit der aufsehenerregenden<br />

Predigt von Clemens August Graf von Galen, dem Bischof von Münster, allen<br />

Beteiligten klar wurde, daß die „geheime Reichssache“ schon lange nicht<br />

mehr geheim war. Reichsjustizminister Gürtner sah sich schließlich dazu<br />

veranlaßt, in dem von ihm herausgegebenen Werk „Das kommende<br />

Strafrecht“ gegen jede Art von ungesetzlichen Krankentötungen Stellung zu<br />

nehmen. Im August 1941 wurde die „Aktion T4“ daraufhin beendet.<br />

Trotzdem gingen die Morde weiter; einerseits wurden nicht mehr arbeitsfähige<br />

Häftlinge aus den Konzentrationslagern von „T4“-Gutachtern selektiert<br />

(Tarnbezeichnung 14f13) und in den Tötungsanstalten vergast, andererseits<br />

wurde das Morden dezentral im Normalbetrieb der Anstalten zwischen Herbst<br />

1941 und Frühjahr 1943 weitergeführt („wilde Euthanasie“). Getötet wurde<br />

zum Beispiel durch die Gabe sogenannter „E - Kost“ (Entzugskost) oder durch<br />

die Verabreichung überdosierter Barbiturate, zum Teil auch durch<br />

Elektroschocks.6<br />

Menschenversuche<br />

Der Nationalsozialismus barg für die medizinische Wissenschaft ein<br />

verlocken<strong>des</strong> Angebot: Wenn der Daseinszweck der Völker im ständigen<br />

Kampf um die Macht bestand, so schien es legitim, „Menschen minderer<br />

Wertigkeit“ zugunsten <strong>des</strong> deutschen Volkes zu „verbrauchen“ – sprich, in den<br />

Dienst der „kämpfenden Wissenschaft“ zu stellen. Hierfür boten sich neben<br />

den ohnehin zum Tode verurteilten „Euthanasie“-Opfern die „slawischen<br />

Untermenschen“ (Polen), „asiatisch Minderwertigen“ (Rotarmisten) und Juden<br />

an.<br />

Diese Menschen - lebendig oder tot - dienten nach Kriegsbeginn als Material<br />

für Experimente, von denen Wissenschaft und Kriegführung direkt profitierten.<br />

So untersuchte z.B. der Stabsarzt der Luftwaffe, Dr. Sigmund Rascher,<br />

zugunsten seines Truppenteils die Auswirkungen von ungenügender oder<br />

ausfallender Sauerstoffzufuhr auf Piloten im <strong>Ein</strong>satz in großer Höhe.<br />

Dazu mißbrauchte er im Konzentrationslager Dachau auch einsitzende Polen<br />

und russische Kriegsgefangene. Rascher wußte, daß seine<br />

Unterdruckversuche teilweise mit dem Tode <strong>des</strong> „Probanden“ enden mußten,<br />

und so versicherte er sich <strong>des</strong> öfteren der Unterstützung <strong>des</strong> Reichsführers-<br />

SS Heinrich Himmler. Rascher experimentierte auch zugunsten der Luftwaffe,<br />

wenn er mit Häftlingen in Dachau Unterkühlungsversuche in 2-12 Grad kaltem<br />

Wasser durchführen ließ, die ebenfalls teilweise tödlich verliefen. Im Jahre<br />

1943 beantragte Rascher einen Umzug in das Konzentrationslager Auschwitz,<br />

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