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Ein Entwurf des publizistischen Kriteriums „Sensibilität“

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eobachten und betrifft alle gesellschaftlichen Kreise, in die die Autoren mit<br />

ihrer Analyse <strong>Ein</strong>blick hatten.<br />

Die geschilderten Veränderungen der privaten Beziehungen im Umfeld<br />

zeigten viele Gemeinsamkeiten. Sie lassen sich in drei Verhaltensmuster<br />

einteilen, die entweder vom Verhalten <strong>des</strong> Kranken bestimmt waren oder von<br />

seinem Umfeld ausgingen. Letztlich wurden auch Veränderungen auf beiden<br />

Seiten ausgelöst. In den meisten Fällen wurde die Krankheit selbst oder der<br />

Umgang mit den Kranken als Grund für einen Umbruch im privaten Umfeld<br />

angegeben. Zuerst soll hier das Verhalten <strong>des</strong> Patienten betrachtet werden.<br />

Lange Gespräche zeigten, daß Wandlungen oder Auflösungen von privaten<br />

Beziehungen im Umfeld durch den Kranken verursacht werden können.<br />

Beispielhaft schildert der Vater einer Patientin die Entwicklung seiner MSkranken<br />

Tochter:<br />

„In den ersten Wochen schien sie vor Optimismus nur so zu<br />

sprühen. Sie werde keine Probleme bekommen und schon bald<br />

wird die Medizin ein Heilmittel gefunden haben. Doch nach einem<br />

Jahr kam ein neuer Schub und sie mußte ihr Studium<br />

unterbrechen. Ihr Freund fuhr alleine in die gemeinsam geplanten<br />

Ferien, kam aber mit einer neuen Freundin zurück. Während<br />

dieser Zeit schloß sich unsere Tochter immer häufiger in ihr<br />

Zimmer ein und war mehrere Stunden nicht zu sehen. Das Laufen<br />

machten ihr zwar jetzt mehr Mühe, doch es lag kein Grund vor,<br />

sich so zu isolieren. Selbst ihre Freundin rief sie nicht mehr an und<br />

bei ankommenden Anrufen ließ sie sich verleugnen.<br />

An ihrem Geburtstag planten wir nichts besonderes, aber ein paar<br />

Verwandte und langjährige Freunde meiner Frau kamen. Als<br />

meiner Tochter beim Aben<strong>des</strong>sen die Gabel aus der Hand fiel,<br />

stand sie auf und beleidigte die versammelte Mannschaft. Alle<br />

seien nur zum Glotzen gekommen und würden ihr in Wirklichkeit<br />

ein schnelles Ende wünschen. <strong>Ein</strong> paar Tage später schloß sie<br />

sich wieder in ihr Zimmer ein. Doch diesmal öffnete sie die Tür<br />

überhaupt nicht mehr. Wir mußten uns mit Gewalt Zutritt<br />

verschaffen. Es gab eine große Brüllerei, aber von da an mußten<br />

wir ihr den Schlüssel wegnehmen. Wir hatten ja keine Ahnung was<br />

sie vor hatte.<br />

Im Sommer trat einer weiterer Schub auf. Das Gehen war nur<br />

noch mit Krücken möglich. Die Kortisontherapie half nicht mehr.<br />

Ihre Reaktion bestand in der Verweigerung von Nahrung. Nur mit<br />

Mühe und der Mithilfe meiner Mutter konnten wir sie zum Essen<br />

überreden. Es ist alles so schwierig geworden und keiner kann uns<br />

bei diesen Problemen helfen.“<br />

Gerd, inzwischen im Rollstuhl sitzend, kann sich an diese Phase ebenfalls gut<br />

erinnern:<br />

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