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Ein Entwurf des publizistischen Kriteriums „Sensibilität“

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Wandlungen im Verhalten oder Auflösungen durch den privaten Kreis<br />

kommen. Im Bereich der Familie ist die häufigste Folge die Trennung <strong>des</strong><br />

Lebenspartners oder die Scheidung der Ehe.<br />

Der gesunde Teil entfernt sich aus der Beziehung. Entweder mit einer<br />

schnellen Trennung, direkt nach der Diagnose, oder nach einer<br />

unterschiedlich langen Zeit, die vom Gesundheitszustand <strong>des</strong> Erkrankten<br />

abhängig sein kann. Bei Geschwistern wurde eine völlige Beendung der<br />

Beziehung beobachtet. Eltern nehmen in der Regel die neue Situation an,<br />

verändern sich jedoch in Richtung einer Pflegebereitschaft, die in das alte<br />

Verhältnis „hilfeloses Kleinkind muß versorgt werden“ zurückführt.<br />

Die Motive für einen Abbruch oder eine Loslösung der Beziehung werden vor<br />

allem beim Kranken gesehen. „Damit werde ich nicht fertig“ oder „das kann ich<br />

nicht mehr sehen“ sind häufige Nennungen von Angehörigen. Über<br />

aggressives Verhalten von Kindern, deren Eltern unter einer<br />

Autoimmunkrankheit leiden, liegen Aussagen vor. Auch hier wäre staatliche<br />

Hilfe für Familien, in denen ein chronisch Kranker lebt, nicht nur angezeigt und<br />

notwendig, sondern für das Gemeinwohl, die Akzeptanz von Krankheit und die<br />

Lebensqualität der Kranken und der Familie erforderlich.<br />

Solange Familien eine Krankheit als Belastung empfinden, die von der<br />

Gesellschaft nicht aufgefangen wird, kann sich im Verhalten <strong>des</strong> privaten<br />

Umfel<strong>des</strong> gegenüber dem Kranken keine Änderung einstellen. Es besteht<br />

sogar die Gefahr, daß die Situation auf einem politisch fruchtbaren Boden<br />

weiter eskalieren könnte.<br />

Freunde und Bekannte <strong>des</strong> Erkrankten neigen häufiger dazu, nicht in eine<br />

krankheitsspezifische Pflicht genommen werden zu wollen. Sie bieten häufig<br />

Hilfeleistungen an. Der Kranke nimmt sie jedoch selten an. Als Gründe dafür<br />

wurde eine nicht gewollte Veränderung <strong>des</strong> Verhältnisses zu den Bekannten<br />

genannt. Vor der Krankheit befand man sich auch nicht in einer moralischen<br />

Pflicht gegenüber Freunden und Bekannten. Diese Argumentation führt<br />

wiederum beim Freund oder Bekannten zu einer Mißdeutung, da er sich mit<br />

unter gekränkt fühlt. Die angebotene Hilfe wurde nicht angenommen. Damit<br />

definiert sich die Beziehung zum Kranken über die Krankheit. Nicht selten sind<br />

wegen dieser Vorgänge Auflösungen der Beziehungen festgestellt worden.<br />

Ulrike fühlt sich alleine gelassen:<br />

„Als erstes trennte sich mein Mann von mir. Die Diagnose meiner<br />

MS war gerade zwei Tage alt. Er erklärte mir noch einen Tag<br />

vorher, daß wir das schon durchstehen werden. Dann war er weg,<br />

ohne ein Wort zu sagen. Kein Brief und kein Anruf mehr, nur ein<br />

paar Wochen später Post von seinem Rechtsanwalt. Unsere<br />

Tochter ist jetzt zwei Jahre alt und braucht noch viel Zuwendung.<br />

Zum Glück hilft mir meine Mutter, wo sie nur kann. Anfangs<br />

besuchte mich meine Schwester häufiger und ging mit meiner<br />

Tochter spazieren. Vor ein paar Wochen machte sie während<br />

einer Fernsehsendung so eine Andeutung. Sie würde noch selbst<br />

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