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Ein Entwurf des publizistischen Kriteriums „Sensibilität“

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werden kann. Denn auch Nervenzellen scheinen lernfähig zu sein und<br />

„speichern“ die Erfahrung wiederholter starker Schmerzreize.<br />

Durch Veränderungen auf kleinster Ebene in den Nervenzellen werden die<br />

Nerven dermaßen empfindlich, daß bereits sehr schwache Reize rasende<br />

Schmerz-anfälle auslösen. Das hinterläßt auch im zentralen Nervensystem<br />

seine Spuren: Die Reize werden ins Rückenmark und bis ins Hirn<br />

weitergeleitet. Nicht heilbare Grundleiden, die mit Schmerzen verbunden sind,<br />

können Ihre Bedeutung gegenüber dem Schmerz verlieren. Er wird zum<br />

beherrschenden chronischen Symptom.<br />

Wenn sich alles um den Schmerz dreht<br />

Hat der Schmerz seine Leit- und Warnfunktion verloren und wird zum<br />

ständigen Begleiter, stellt er eine eigenständige Krankheit dar. Der Mensch ist<br />

dann chronisch schmerzkrank. Als Patient erlebt er den Schmerz als<br />

Mittelpunkt seines Denkens und seines Handelns. Über lange Zeit erduldet er<br />

viele Behandlungsversuche, die nicht immer Erfolg haben. Das kann dazu<br />

führen, daß er sich von seiner Umwelt abkehrt und es aufgibt, ärztliche Hilfe in<br />

Anspruch zu nehmen.<br />

Nicht immer kann der Arzt helfen. Manchmal scheint es so, als wolle der Arzt<br />

nicht helfen. Diesen <strong>Ein</strong>druck könnte man gewinnen, wenn man den<br />

Verbrauch von hochwirksamen Schmerzmedikamenten in Deutschland mit<br />

den Mengen vergleicht, die in anderen europäischen Ländern verordneten<br />

werden. Gerade bei den Medikamenten, die den Opiaten oder opiatähnlichen<br />

Stoffen zuzurechnen sind, wird auf Kosten von leidenden Menschen gespart.<br />

Und das, obwohl neue Auflagen der<br />

Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV) die<br />

Verabreichungsmöglichkeiten erleichtert haben.<br />

Es wird geschätzt, daß höchstens 20 Prozent der niedergelassenen Ärzte und<br />

nur wenige Klinikärzte BtMVV-pflichtige Präparate einsetzen. Viele Patienten,<br />

die von ihrem Arzt mit wirksamen Medikamenten versorgt werden, müssen<br />

erleben, daß ihnen plötzlich wirksame Schmerzmittel versagt werden, wenn<br />

sie wegen anderer Erkrankungen im Krankenhaus behandelt werden. Die<br />

Zurückhaltung einiger schmerzbehandelnder Ärzte erklärt sich aus der Gefahr<br />

einer befürchteten Arzneimittelabhängigkeit. Diese Gefahr betrifft aber die<br />

Ärzteschaft selbst: In ihren Reihen war (etwa in den 30er Jahren) – und ist –<br />

die Abhängigkeit von Suchtstoffen eine „Berufskrankheit“.<br />

Internationale Suchtstoffabkommen haben zudem zu einer Ächtung der<br />

Opiate geführt. Aber der vielleicht sorglose Umgang mit süchtigmachenden<br />

Arzneimitteln, wie er vor vielen Jahrzehnten üblich gewesen sein mag, darf<br />

nicht dazu führen, daß Menschen das Leben unerträglich wird. Die<br />

Versorgung Schmerzkranker darf nicht an Vorurteilen scheitern. Das sagen<br />

auch viele Algesiologen, wie sich die Ärzte selber nennen, die sich auf die<br />

Behandlung von Menschen mit chronischen Schmerzbeschwerden<br />

spezialisiert haben.<br />

<strong>Ein</strong> wichtiger Bestandteil der medikamentösen Schmerztherapie ist die<br />

Anwendung von zentralwirksamen Substanzen, die früher als allerletzte<br />

Reserve angesehen wurden - heute jedoch zu den Standardmedikamenten<br />

der Schmerztherapie gehören. Standard nicht nur bei der<br />

Schmerzbekämpfung krebskranker Patienten, sondern insbesondere in der<br />

Langzeittherapie chronisch schmerzkranker Menschen.<br />

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