Parteitag der SPD in Hannover
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Absehbar ist schon jetzt, daû sich die weiblichen<br />
Lebensentwürfe pluralisieren. Allerd<strong>in</strong>gs<br />
s<strong>in</strong>d die Frauen mit den sich daraus<br />
ergebenden Problemen alle<strong>in</strong> gelassen und<br />
müssen diese je <strong>in</strong>dividuell lösen.<br />
Mit <strong>der</strong> Individualisierungsthese wird oftmals<br />
die Behauptung verbunden, daû sich<br />
traditionelle B<strong>in</strong>dungen mehr o<strong>der</strong> weniger<br />
aufgelöst haben und politisches Handeln<br />
von Gruppen daher immer unwahrsche<strong>in</strong>licher<br />
wird. Die Frauenperspektive zeigt:<br />
Frauen wurde schon immer vermittelt, ihre<br />
privaten Probleme seien alle<strong>in</strong> ihre eigenen<br />
und nur sie selbst könnten sie auch lösen.<br />
Bei jungen Frauen kommt nun aber e<strong>in</strong><br />
entscheiden<strong>der</strong> Aspekt h<strong>in</strong>zu: In 14 Jahren<br />
konservativer Hegemonie hatten sie weniger<br />
denn je die Chance, Erfolge kollektiver<br />
Lösungsmodelle zu erleben. Deshalb<br />
sche<strong>in</strong>t bei ihnen <strong>der</strong> Bruch zwischen <strong>in</strong>dividuellen<br />
Problemlagen und kollektiven<br />
Lösungen noch gröûer zu se<strong>in</strong> als bei<br />
männlichen Jugendlichen. Die Tendenz zur<br />
Entsolidarisierung wirkt sich bei Männern<br />
alle<strong>in</strong> auf den Erwerbsarbeitsbereich aus,<br />
während bei Frauen die Lösung des Problems<br />
<strong>der</strong> Vere<strong>in</strong>barkeit endgültig <strong>in</strong>dividuellen<br />
Strategien unterliegt.<br />
Zeitgleich gibt es vielfach die Behauptung,<br />
die Girlie-Bewegung zeige e<strong>in</strong>en Trendwechsel<br />
unter jungen Frauen an: Weg vom<br />
verstaubten Emanzen-Image h<strong>in</strong> zu peppiger<br />
Women-Power. Das kurze Leben dieser<br />
¹Bewegungª zeigt an, daû es sich hierbei<br />
vor allen D<strong>in</strong>gen um e<strong>in</strong> Medien-<br />
Konstrukt handelte.<br />
Dennoch stellt sich die Frage, ob sich h<strong>in</strong>ter<br />
<strong>der</strong> medialen Vermarktung e<strong>in</strong>zelner<br />
Vorzeige-Girlies e<strong>in</strong>e Verän<strong>der</strong>ung im<br />
Bewuûtse<strong>in</strong> junger Frauen abzeichnet.<br />
Umstritten bleibt, ob sich dah<strong>in</strong>ter wirklich<br />
e<strong>in</strong> neues Selbstverständnis von unabhängigen,<br />
aber lustbetonten jungen Frauen f<strong>in</strong>det,<br />
das e<strong>in</strong>e etwas überdimensionierte<br />
mediale Vermarktung erfahren hat, o<strong>der</strong> ob<br />
die Girlie-Welle <strong>in</strong> den männlich geprägten<br />
Medien e<strong>in</strong>e bewuûte und beson<strong>der</strong>s<br />
raff<strong>in</strong>ierte Variante des Backlash war.<br />
Woran soll also fem<strong>in</strong>istische und (jung)sozialistische<br />
Frauenpolitik heute anknüpfen?<br />
Es ist an <strong>der</strong> Zeit, sich nicht nur mit <strong>der</strong><br />
Ideologie über Frauen zu beschäftigen,<br />
son<strong>der</strong>n zu betrachten, welche Erwartungen<br />
und Ansprüche Frauen selbst formulieren<br />
und wie sich die gesellschaftliche Sicht<br />
<strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge aus Frauenperspektive darstellt.<br />
Dies ist um so erfor<strong>der</strong>licher, weil mit<br />
e<strong>in</strong>em neuen Ansatz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Frauenpolitik<br />
zwei D<strong>in</strong>ge gleichzeitig erreicht werden<br />
sollen: Zum e<strong>in</strong>en müssen die schon<br />
erkämpften Rechte und Positionen verteidigt<br />
werden. Zum an<strong>der</strong>en müssen <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />
junge Frauen neu motiviert werden,<br />
sich für Frauenpolitik und ihre<br />
ureigensten Belange zu <strong>in</strong>teressieren. Dazu<br />
müssen die Verän<strong>der</strong>ungen, die sich im<br />
Selbstverständnis <strong>der</strong> jungen Frauen <strong>in</strong> den<br />
letzten Jahren ergeben haben, ernst<br />
genommen werden. Sie s<strong>in</strong>d auch e<strong>in</strong>e<br />
Anfrage an unsere Politikkonzepte.<br />
2. Lebensansprüche junger Frauen:<br />
¹Der Doppelte Lebensentwurfª ±<br />
Wir wollen alles!<br />
War es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Republik Adenauers die<br />
milde lächelnde Hausfrau, die unablässig <strong>in</strong><br />
Werbekampagnen und Sonntagsreden<br />
erschien, so dom<strong>in</strong>ierte <strong>in</strong> <strong>der</strong> DDR schon<br />
recht früh das Leitbild <strong>der</strong> ¹berufstätigen<br />
Muttiª die öffentliche Wahrnehmung, was<br />
aber ke<strong>in</strong>e Gleichberechtigung zur Folge<br />
hatte, son<strong>der</strong>n für die Frauen <strong>in</strong> <strong>der</strong> DDR<br />
zur Dreifach-Belastung als Mutter, Hausfrau<br />
und Berufstätige führte.<br />
Seit gut 20 Jahren s<strong>in</strong>d diese starren Weiblichkeitsbil<strong>der</strong><br />
allerd<strong>in</strong>gs alte Hüte. In den<br />
70er Jahren war die formale Gleichstellung<br />
im Osten, z.B. gemessen an <strong>der</strong> Frauenerwerbsquote,<br />
bereits viel weiter fortgeschritten<br />
als <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik. Aber auch<br />
im Westen eröffnete <strong>in</strong> dieser Zeit vor<br />
allem die sozialdemokratische Bildungsreform<br />
jungen Frauen gröûere Wahlmöglichkeiten.<br />
Fortan konnten sie ihr Recht auf<br />
Bildung und Erwerbsarbeit wahrnehmen<br />
und muûten nicht mehr zwangsläufig dem<br />
Hausfrauenvorbild ihrer Mütter folgen.<br />
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