Parteitag der SPD in Hannover

IV. Aktive Beschäftigungspolitik
Die Anzahl der Arbeitslosen beträgt in
Deutschland über 4,6 Millionen und die
Arbeitslosenquote rd. 12 % ± ein Negativrekord.
Die Arbeitslosigkeit ist das drängendste
gesellschaftliche Problem. In einer
Gesellschaft, in der nach wie vor der
soziale Status von der Erwerbstätigkeit
abhängt, ist die Arbeitslosigkeit nicht nur
ein finanzielles, sondern auch ein soziales
Problem.
Die bisherigen Maûnahmen der Bundesregierung
haben keine Verbesserung der
Situation bewirkt, die Lage hat sich vielmehr
ständig verschlechtert. Das liegt vor
allem daran, daû nicht Ursachen bekämpft
werden, sondern nur Flickschusterei an
Symptomen betrieben wird. Zur Verringerung
des Haushaltsdefizits werden ständig
die Leistungen der öffentlichen Hand, insbesondere
der Sozialversicherungen,
gekürzt und die Belastungen (Steuern und
Abgaben) erhöht.
Das geschieht aber nicht ausgewogen, sondern
zu Lasten der Einwohner mit kleinen
und mittleren Einkommen. Die Bundesregierung
betreibt eine Politik der sozialen
Ungerechtigkeit. Ferner führt die Sparpolitik,
die durch die rein stabilitätsorientierte
Politik der Bundesbank noch unterstützt
wird, zu geringerer Inlandsnachfrage, da
gerade den Beziehern niedriger Einkommen
durch die zunehmenden staatlichen
Belastungen das Geld für den Konsum
fehlt. Diese Deflationspolitik bremst das
Wirtschaftswachstum und ist daher
geradezu kontraproduktiv für die Schaffung
von mehr Arbeitsplätzen.
Die Argumentation der Bundesregierung
wird durch die Schlagworte ¹Standortsicherungª
und ¹Globalisierungª geprägt.
Mit dem Hinweis auf die Standortsicherung
wird der Sozialstaat als wesentlicher
Standortnachteil kritisiert und sein Umbau
gefordert. Die Kosten des sozialen Standards
seien viel zu hoch und müûten deutlich
reduziert werden. Für die Wettbewerbsfähigkeit
ist aber nicht die absolute
Höhe der Kosten der richtige Vergleichs-
300
maûstab, sondern die Kosten im Verhältnis
zur Stundenproduktivität. Hier aber zeigt
sich, daû die Lohnstückkosten in den letzten
Jahren in Westdeutschland durchschnittlich
geringer gestiegen sind als im
Durchschnitt der wichtigsten Handelspartner.
Von einer Kostenkrise ± hervorgerufen
durch den sozialen Standard ± kann also
keine Rede sein.
Die Globalisierung des Wettbewerbs wird
als Begründung dafür angegeben, daû in
Deutschland keine zusätzlichen Arbeitsplätze
entstehen. Bei den hohen Arbeitskosten
in Deutschland seien die Unternehmen
geradezu gezwungen, in das Ausland
zu gehen, weil es viel billiger sei, dort
(Osteuropa, Fernost) zu produzieren.
Die Haltlosigkeit dieser Argumentation für
die deutsche Wirtschaft insgesamt zeigen
die Handelsbilanzüberschüsse, die
Deutschland gerade gegenüber allen ¹billigenª
osteuropäischen Ländern aufweist.
Was an Arbeitsplätzen durch Verlagerung
verlorengeht, wird in anderen Unternehmen
oder Branchen durch höhere Exporte
wieder ausgeglichen. Diese Strukturverschiebungen
mit ihren negativen Beschäftigungswirkungen
in einzelnen Branchen
sind zwar eine Folge der Internationalisierung
der Märkte, stellen aber nicht die
Hauptursache der Beschäftigungsprobleme
dar.
Die entscheidenden Ursachen sind vielmehr:
Durch die unausgewogene und ungerechte
Spar- und Verteilungspolitik ± höhere Belastungen
für Bezieher kleiner und mittlerer
Einkommen bei gleichzeitiger Entlastung
hoher Einkommen und groûer Vermögen ±
wird der soziale Konsens aufgekündigt und
damit die Grundlage für den Erfolg der
sozialen Marktwirtschaft zerstört.
Die überzogen einseitige Belastung des
Produktionsfaktors Arbeit mit Abgaben
und Steuern führt dazu, daû Arbeit immer
weniger bezahlbar ist. Das gilt vor allem
für den Dienstleistungsbereich, in dem
reguläre Leistungen zu teuer sind und