Psychische Erkrankungen in der Lebensspanne ... - DGPPN
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Topic 17 G Forensische Psychiatrie // Forensic psychiatry<br />
im Jahr 1975 stellte sich nach fünf Jahren e<strong>in</strong> steady state mit e<strong>in</strong>er<br />
Prävalenz von jeweils ca. 110 schuldunfähigen bzw. schuldfähigen<br />
geistig abnormen Rechtsbrechern (§§ 21/1 und 21/2 ÖStGB) e<strong>in</strong>,<br />
<strong>der</strong> bis etwa 1990 anhielt. Seither fanden bemerkenswerte Verän<strong>der</strong>ungen<br />
statt: § 21/1 ÖStGB (zurechnungsunfähige geistig abnorme<br />
Rechtsbrecher): 1) Verdreifachung <strong>der</strong> Prävalenz, 2) E<strong>in</strong>richtung<br />
forensischer Abteilungen <strong>in</strong> psychiatrischen Krankenhäusern,<br />
3) e<strong>in</strong>e damit <strong>in</strong> Zusammenhang stehende Kostenexplosion, da <strong>in</strong><br />
Österreich die Justiz die f<strong>in</strong>anzielle Verantwortung für die Versorgung<br />
schuldunfähiger Straftäter trägt, 4) überproportionale Zunahme<br />
schizophrener Patienten mit vergleichsweise leichten<br />
Delikten. § 21/2 ÖStGB (zurechnungsfähige geistig abnorme Rechtsbrecher):<br />
1) Verdreifachung <strong>der</strong> Prävalenz, 2) steigen<strong>der</strong> Anteil von<br />
E<strong>in</strong>weisungen wegen Sexualdelikten, sodass <strong>der</strong>zeit mehr als 70 %<br />
<strong>der</strong> nach § 21/2 ÖStGB e<strong>in</strong>gewiesenen Straftäter die Diagnose e<strong>in</strong>er<br />
Persönlichkeitsstörung bzw. e<strong>in</strong>er Paraphilie haben, 4) E<strong>in</strong>richtung<br />
von Son<strong>der</strong>abteilungen <strong>in</strong> den größeren Gefängnissen, allerd<strong>in</strong>gs<br />
mit völlig unzureichen<strong>der</strong> Personalausstattung. §§ 22, 23 ÖStGB<br />
(entwöhnungsbedürftige Straftäter bzw. gefährliche Rückfallstäter):<br />
Diese Formen des Son<strong>der</strong>vollzugs spielen <strong>in</strong> Österreich e<strong>in</strong>e völlig<br />
untergeordnete Rolle. Die Situation <strong>in</strong> Österreich ist ähnlich <strong>der</strong> <strong>in</strong><br />
Län<strong>der</strong>n mit an<strong>der</strong>en gesetzlichen Voraussetzungen bzw. unterschiedlichen<br />
Details <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>psychiatrischen Versorgungsangebote.<br />
E<strong>in</strong>dimensionale Erklärungsmodelle für dieses Phänomen<br />
greifen zu kurz, vielmehr müssen die dem herrschenden Zeitgeist<br />
entsprechenden und sämtliche Lebensbereiche berührenden allgeme<strong>in</strong>en<br />
gesellschaftlichen Entwicklungen bedacht werden: 1) Zunehmende<br />
Diversifizierung, 2) zunehmende Formalisierung und<br />
Verrechtlichung. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte ist festzustellen,<br />
dass sich an <strong>der</strong> sozialen Exklusion schwer psychisch kranker<br />
bzw. gestörter Personen bis heute nichts Wesentliches geän<strong>der</strong>t<br />
hat. Sie f<strong>in</strong>det bei gleichzeitiger Bedienung e<strong>in</strong>es zunehmenden Sicherheitsbedürfnisses<br />
lediglich auf formal und politisch (sche<strong>in</strong>bar)<br />
korrektere Weise statt.<br />
004<br />
Die Situation <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schweiz<br />
Carole Kherfouche (Psychiatrisch-Psychologischer, Justizvollzug Dienst,<br />
Zürich, Schweiz)<br />
F. Urbaniok<br />
E<strong>in</strong>leitung: Der Psychiatrisch-Psychologische Dienst (PPD) des<br />
Justizvollzugs Kanton Zürich ist für die psychiatrische Versorgung<br />
aller Hafte<strong>in</strong>richtungen des Kantons Zürich mit <strong>in</strong>sgesamt 1‘400<br />
Insassen zuständig. Der PPD ist e<strong>in</strong>e Hauptabteilung des Justizvollzugs<br />
und ist somit <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Forensisches Gesamtkonzept e<strong>in</strong>gebettet,<br />
welches weltweit e<strong>in</strong>malig ist. Diese Integration <strong>in</strong> den Justizvollzug<br />
ermöglicht es <strong>der</strong> psychiatrischen Grundversorgung wichtige<br />
Entscheidungen zu <strong>in</strong>itiieren und e<strong>in</strong>en ganzheitlichen forensischpsychiatrischen<br />
Ansatz zu verfolgen. In <strong>der</strong> psychiatrischen Grundversorgung<br />
geht es darum, e<strong>in</strong> breites Spektrum psychiatrischer<br />
Störungen und <strong>Erkrankungen</strong> zu behandeln. Das Ziel ist es dabei,<br />
e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>haftierten Person <strong>in</strong> gleicher Weise Zugang zu e<strong>in</strong>em fachgerechten<br />
psychiatrischen Angebot zu ermöglichen, wie e<strong>in</strong>er nicht<br />
<strong>in</strong>haftierten Person. Das Spektrum <strong>der</strong> zu behandelnden Störungen<br />
umfasst schwere psychiatrische <strong>Erkrankungen</strong> wie z. B. Psychosen,<br />
depressive <strong>Erkrankungen</strong> o<strong>der</strong> aber ambulante Krisen<strong>in</strong>terventionen<br />
bei Selbst- und Fremdgefährdungen. 2005 startete <strong>der</strong> PPD e<strong>in</strong><br />
Projekt zur Optimierung <strong>der</strong> psychiatrischen Versorgung.<br />
Methode: Durch die Schaffung e<strong>in</strong>er zusätzlichen weitgehend kostenneutralen<br />
Arztstelle sollten folgende Ziele erreicht werden:<br />
• Verbesserung <strong>der</strong> quantitativen und qualitativen Versorgung <strong>der</strong><br />
Insassen • Reduktion von Krisen<strong>in</strong>terventionen • Reduktion von<br />
E<strong>in</strong>weisungen auf Sicherheitsabteilungen externer Kl<strong>in</strong>iken • Verm<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> Liegezeiten durch e<strong>in</strong> kont<strong>in</strong>uierliches Monitor<strong>in</strong>g<br />
• Verbesserung <strong>der</strong> Arbeitszufriedenheit des Betreuungspersonals<br />
<strong>in</strong> den Gefängnissen durch e<strong>in</strong>e vermehrte Präsenz <strong>der</strong> Psychiater<br />
sowie durch Teach<strong>in</strong>g und Coach<strong>in</strong>g<br />
Diskussion / Ergebnisse: Insgesamt kann aufgezeigt werden, dass<br />
sowohl die E<strong>in</strong>weisungszahlen <strong>in</strong> psychiatrische Kl<strong>in</strong>iken wie auch<br />
<strong>der</strong> Bedarf an Krisen<strong>in</strong>terventionen deutlich gesenkt werden konnten.<br />
Durch das verbesserte Monitor<strong>in</strong>g und die <strong>in</strong>tensivere Zusammenarbeit<br />
mit unseren Arbeitspartnern konnten die durchschnittlichen<br />
Fallkosten deutlich gesenkt werden. Die allfällige<br />
Befürchtung, dass durch e<strong>in</strong>e restriktivere E<strong>in</strong>weisungspraxis mehr<br />
Krisen<strong>in</strong>terventionen resultieren o<strong>der</strong> gar mehr Suizide begangen<br />
würden, hat sich nicht bestätigt. Flächendeckende Befragungen des<br />
Betreuungspersonals <strong>in</strong> den Zürcher Hafte<strong>in</strong>richtungen heben ergeben,<br />
dass die verbesserte Versorgungsstruktur auch für die Aufseher<br />
zu e<strong>in</strong>er Entlastung geführt hat und die Sicherheit im Umgang<br />
mit psychisch auffälligen Insassen gestiegen ist. Aufgrund<br />
dieser Ergebnisse kann aufgezeigt werden, dass das genannte Versorgungsmodell<br />
beliebig auf an<strong>der</strong>e Gefängnisse übertragbar ist<br />
und somit Modelcharakter besitzt.<br />
Mittwoch, 25. 11. 2009, 08.30 – 10.00 Uhr, Salon 19<br />
S-021 Symposium<br />
Neurobiologie forensisch relevanter psychischer Störungen<br />
Vorsitz: J. L. Müller (Gött<strong>in</strong>gen), M. Rösler (Homburg)<br />
001<br />
Gen x Umwelt-Interaktionen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pathogenese aggressiven Verhaltens<br />
Andreas Reif (Universität Würzburg, Psychiatrische Kl<strong>in</strong>ik)<br />
W. Retz, M. Rösler, C. Freitag, K.-P. Lesch<br />
E<strong>in</strong>leitung: Impulsivität und damit oft e<strong>in</strong>hergehende Aggressivität<br />
s<strong>in</strong>d ätiologisch heterogene Verhaltensweisen, die komplexe genetische<br />
Ursachen haben. Bislang ist die Def<strong>in</strong>ition des kl<strong>in</strong>ischen<br />
Phänotyps nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Neurobiologie fundiert und Tiermodelle<br />
weisen naturgemäß methodologische E<strong>in</strong>schränkungen auf. Die<br />
Komplexität aggressiven Verhaltens wird noch dadurch gesteigert,<br />
dass Umwelte<strong>in</strong>flüsse <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e während des frühen Entwicklung<br />
e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle spielen – wer als K<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> Jugendlicher<br />
häufiger gewalttätigem Verhalten ausgesetzt ist, hat auch e<strong>in</strong><br />
höheres Risiko, später selbst gewalttätig zu werden; dieses Phänomen<br />
wird auch als „Kreis <strong>der</strong> Gewalt“ bezeichnet. Bislang gibt es<br />
jedoch kaum Untersuchungen zu Gen x Umwelt-Interaktionen gewalttätigen<br />
Verhaltens.<br />
Methode: In e<strong>in</strong>er Untersuchung an männlichen Gefängnis<strong>in</strong>sassen,<br />
die entwe<strong>der</strong> wegen gewalttätiger o<strong>der</strong> nicht-gewalttätiger<br />
Straftaten verurteilt waren, wurde retrospektiv das Maß an belastenden<br />
Lebensereignissen <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit erfasst. Darüber h<strong>in</strong>aus<br />
wurden sie für mehrere funktionelle Genvarianten genotypisiert,<br />
wie zum Beispiel Promotor-Polymorphismen <strong>in</strong> den Genen für den<br />
Dopam<strong>in</strong>transporter (DAT), den Seroton<strong>in</strong>transporter (5HTT),<br />
die Monoam<strong>in</strong>oxidase A (MAOA) und die neuronale NO-Synthase<br />
(NOS1).<br />
Diskussion / Ergebnisse: Während <strong>der</strong> DAT nicht mit gewalttätigem<br />
Verhalten assoziiert war, zeigte sich e<strong>in</strong>e umwelt-unabhängige<br />
Assoziation von MAOA mit gewalttätigem Verhalten. Dies steht im<br />
Wi<strong>der</strong>spruch zu früheren Befunden, die e<strong>in</strong>e Gen x Umwelt Interaktion<br />
zeigen; e<strong>in</strong>e mögliche Erklärung hierfür ist das höhere Lebensalter<br />
<strong>der</strong> hier untersuchten Probanden. NOS1, e<strong>in</strong> Risikogen<br />
für impulsive Verhaltensweisen, das auch mit auto-aggressivem<br />
Verhalten assoziiert ist, war ebenfalls e<strong>in</strong> unabhängiger Risikofaktor.<br />
Interessanterweise waren kurze Allele des funktionellen Sero-<br />
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