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Psychische Erkrankungen in der Lebensspanne ... - DGPPN

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Topic 22 G Philosophie, Geschichte und Ethik // Philosophy, history and ethics<br />

lungsvorgaben zu machen, an die auch rechtliche Betreuer gebunden<br />

s<strong>in</strong>d, kann die kl<strong>in</strong>ische Psychiatrie vor erhebliche Probleme<br />

stellen. Deshlab soll <strong>in</strong> diesem Beitrag, als Grundlage für die folgenden<br />

die Frage erörtert werden, welche psychiatrischen <strong>Erkrankungen</strong><br />

unter welchen Umständen und <strong>in</strong> welchem Umfang die<br />

Fähigkeit zur freien Willensbildung bzw. -äußerung e<strong>in</strong>schränken.<br />

002<br />

Die Patientenverfügung <strong>in</strong> <strong>der</strong> somatischen Mediz<strong>in</strong> – e<strong>in</strong> Modell<br />

auch für die Psychiatrie?<br />

Friedemann Nauck (Universität Gött<strong>in</strong>gen, Palliativmediz<strong>in</strong>)<br />

E<strong>in</strong>leitung: Patientenverfügungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> somatischen Mediz<strong>in</strong><br />

sollen Menschen die Möglichkeit geben, im Voraus für den Fall e<strong>in</strong>er<br />

temporären o<strong>der</strong> dauerhaften Nichte<strong>in</strong>willigungsfähigkeit ihre<br />

Wünsche und Vorstellungen für ihre Behandlung und Versorgung<br />

zu formulieren. Hierfür muss, juristisch gesehen, e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Voraussetzung<br />

gegeben se<strong>in</strong>: Der Patient ist bei <strong>der</strong> Verfassung <strong>der</strong><br />

Verfügung e<strong>in</strong>willigungsfähig. Das neue „Patientenverfügungsgesetz“<br />

sieht zudem als Formerfor<strong>der</strong>nis die Schriftform vor. E<strong>in</strong>e<br />

Reichweitenbegrenzung und e<strong>in</strong>e Verpflichtung zur ärztlichen Beratung<br />

des Verfassers wurden nicht vorgesehen. Viele mediz<strong>in</strong>ische,<br />

politische und kirchliche Organisationen betonen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Debatte<br />

über dieses Gesetz, dass e<strong>in</strong>e Patientenverfügung als Grundlage zur<br />

Diskussion <strong>der</strong> Versorgungs- und Behandlungswünsche dienen<br />

sollte. Dies gilt sowohl für den privaten Bereich, d. h. mit nahe stehenden<br />

Personen, als auch für die Kommunikation mit den behandelnden<br />

Ärzten bzw. dem Hausarzt. Da Patientenverfügungen unmöglich<br />

jedes potenzielle Szenario abbilden können, ist es wichtig,<br />

dass Angehörige o<strong>der</strong> Ärzte umfassende Kenntnis über die Wünsche<br />

und auch die Wertvorstellungen e<strong>in</strong>es Patienten haben; empfehlenswert<br />

ist daher neben e<strong>in</strong>er ausreichenden Kommunikation<br />

mit diesen auch die Erteilung e<strong>in</strong>er Vorsorgevollmacht.<br />

Diskussion / Ergebnisse: In e<strong>in</strong>em DFG-geför<strong>der</strong>ten Forschungsprojekt<br />

zur Frage, ob Patientenverfügungen tatsächlich das wie<strong>der</strong>geben,<br />

was ihre Verfasser auszudrücken wünschten, haben sich<br />

Wi<strong>der</strong>sprüche zwischen dem nie<strong>der</strong>gelegten Text und dem von Patienten<br />

Geme<strong>in</strong>ten zeigen lassen. Zudem wurde deutlich, dass <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Probandengruppe chronisch erkrankter Menschen kaum jemand<br />

überhaupt Angaben zu Behandlungswünschen nie<strong>der</strong>gelegt<br />

hat, die <strong>in</strong> engem Zusammenhang mit <strong>der</strong> Grun<strong>der</strong>krankung stehen,<br />

auch nicht zu Situationen, die zum eher typischen Verlauf e<strong>in</strong>er<br />

Krankheit gehören. Wenn Psychiatrische Patientenverfügungen<br />

sich h<strong>in</strong>gegen auf die antizipierten Situationen beziehen, die mit<br />

<strong>der</strong> psychiatrischen Grun<strong>der</strong>krankung <strong>in</strong> Zusammenhang stehen,<br />

so ist dies sicher hilfreich. Jedoch werden dann, genau wie bei jedem<br />

an<strong>der</strong>en chronisch Kranken, viele Aspekte, die für die Versorgung<br />

und Behandlung e<strong>in</strong>es Menschen wichtig werden können,<br />

nicht erfasst. Patientenverfügungen sollten <strong>in</strong> jedem mediz<strong>in</strong>ischen<br />

Sett<strong>in</strong>g ausreichende H<strong>in</strong>weise dafür geben, auch <strong>in</strong> nicht antizipierten<br />

Situationen den mutmaßlichen Willen zu eruieren.<br />

003<br />

Patientenverfügung und Demenz<br />

Manfred Koller (Asklepios Fachkl<strong>in</strong>ikum, Psychiatrie und Psychotherapie,<br />

Gött<strong>in</strong>gen)<br />

E<strong>in</strong>leitung: Mit e<strong>in</strong>er Demenz e<strong>in</strong>en Autonomieverlust zu erleiden,<br />

macht vielen Menschen Angst. Lebenserhaltende Maßnahmen<br />

werden dann <strong>in</strong> <strong>der</strong> Patientenverfügung abgelehnt. Tatsächliches<br />

Fühlen und Denken im Erkrankungsfall ist we<strong>der</strong> von Betroffenen<br />

wie von Angehörigen antizipierbar, wie Tilmann Jens im Buch<br />

„Demenz“ von Tilmann Jens über se<strong>in</strong>en Vater Walter Jens deutlich<br />

macht. 60 % e<strong>in</strong>er englischen Bevölkerungsstichprobe waren mit<br />

e<strong>in</strong>em assistierten Suizid bei schwerer Demenz e<strong>in</strong>verstanden;<br />

75 % wollten auf lebensverlängernde Maßnahmen verzichten. Ärzte<br />

gaben zu 20 % an, im Fall chronischen Organversagens reani-<br />

miert werden zu wollen – und nur 2 % im Fall e<strong>in</strong>er Alzheimer-<br />

Demenz (FÖRSTL, 2008). Die evangelische Kirche hat sich 2005<br />

spricht von e<strong>in</strong>em „Gebot <strong>der</strong> Fürsorge, die sich an den aktuellen<br />

Lebensäußerungen des Patienten zu orientieren“ habe. In den<br />

Debatten zum Betreuungsrechtsän<strong>der</strong>ungsgesetz wurde dem Satz:<br />

„Wenn ich e<strong>in</strong>mal dement b<strong>in</strong>, will ich ke<strong>in</strong>e lebenserhaltenden<br />

Maßnahmen“ ke<strong>in</strong>e unmittelbare B<strong>in</strong>dungswirkung zugesprochen,<br />

weil er ke<strong>in</strong>e h<strong>in</strong>reichend konkrete Behandlungsentscheidung <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er bestimmten Krankheitssituation enthalte. Er könne nur als<br />

Indiz <strong>in</strong> die vorzunehmende Prüfung des mutmaßlichen Willens<br />

mite<strong>in</strong>bezogen werden. E<strong>in</strong>stellungen und Wünsche bezüglich<br />

lebensverlängern<strong>der</strong> o<strong>der</strong> lebensverkürzen<strong>der</strong> Interventionen bleiben<br />

bei Pflegeheimbewohnern über Jahre stabil. Angehörige allerd<strong>in</strong>gs<br />

neigten dazu, Verfügungen zu lebensverkürzenden Maßnahmen<br />

im Entscheidungsfall zu folgen. (FÖRSTL 2008). Dem<br />

Begriff des „freien Willens“ stellt BRYSCH von <strong>der</strong> Deutschen<br />

Hospizstiftung (Süddeutsche Zeitung, 13. 05. 2009) den Begriff des<br />

„aufgeklärten Willens“ gegenüber. E<strong>in</strong>e Patientenverfügung, die<br />

ohne vorhergehende Beratung erfasst wurde, sei gekennzeichnet<br />

von Angst und <strong>der</strong> Unkenntnis von Behandlungsmöglichkeiten<br />

und könne nur e<strong>in</strong> Indiz für den mutmaßlichen Willen des Patienten<br />

se<strong>in</strong>. Wenn aber schon e<strong>in</strong>e je<strong>der</strong>zeit nachvollziehbar Angst<br />

E<strong>in</strong>fluss auf die Formulierung <strong>der</strong> Patientenverfügung hat wie ist es<br />

dann, wenn durch affektive Störungen wie etwa Depressionen die<br />

Entscheidungsfähigkeit modifiziert wird o<strong>der</strong> im Rahmen e<strong>in</strong>er<br />

E<strong>in</strong>buße von Kritik- und Merkfähigkeit im Rahmen e<strong>in</strong>er Demenz<br />

e<strong>in</strong> „aufgeklärter Wille“ nicht mehr erreichbar ist?<br />

Methode: Reflektion / Literaturübersicht<br />

Diskussion / Ergebnisse: Unterschiedliche Konnotationen des Begriffes<br />

„Willen“ s<strong>in</strong>d bei <strong>der</strong> Abfassung und Beurteilung <strong>der</strong> Patientenverfügung<br />

zu bedenken.<br />

004<br />

Behandlungsvere<strong>in</strong>barung als optimale Form e<strong>in</strong>er Patientenverfügung<br />

für Menschen mit psychischen <strong>Erkrankungen</strong>?<br />

Jürgen Fritze (Universität Frankfurt am Ma<strong>in</strong>, Kl<strong>in</strong>ik für Psychiatrie,<br />

Pulheim)<br />

Das Selbstbestimmungsrecht ist unveräußerlich und ergibt sich<br />

u. a. aus Artikel 2 GG: „Je<strong>der</strong> hat das Recht auf die freie Entfaltung<br />

se<strong>in</strong>er Persönlichkeit hat, soweit er nicht die Rechte an<strong>der</strong>er verletzt<br />

und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung o<strong>der</strong> das Sittengesetz<br />

verstößt. Je<strong>der</strong> hat das Recht auf Leben und körperliche<br />

Unversehrtheit. Die Freiheit <strong>der</strong> Person ist unverletzlich. In diese<br />

Rechte darf nur auf Grund e<strong>in</strong>es Gesetzes e<strong>in</strong>gegriffen werden“.<br />

We<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Krankheit noch <strong>der</strong> ärztliche Heilauftrag begründen<br />

e<strong>in</strong> eigenständiges Behandlungsrecht des Arztes. Um die Selbstbestimmung<br />

vorsorglich konkretisierend auch für Zustände künftiger<br />

E<strong>in</strong>willigungsunfähigkeit zu sichern, hat <strong>der</strong> Gesetzgeber 2009 das<br />

Betreuungsrecht (§§ 1901 ff BGB) dah<strong>in</strong>gehend ergänzt, dass die<br />

– zw<strong>in</strong>gend schriftliche – Patientenverfügung rechtlich verankert<br />

wird. Das Selbstbestimmungsrecht endet nicht mit dem Verlust <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>willigungsfähigkeit, die Verfügung gilt unbefristet fort, soweit<br />

sie h<strong>in</strong>reichend konkret ist. Das Gesetz folgt dabei dem Beschluss<br />

vom 17. März 2003 des XII. Zivilsenats des BGH. Tritt e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Patientenverfügung beschriebene Situation bei aktueller E<strong>in</strong>willigungsunfähigkeit<br />

e<strong>in</strong>, ist es Aufgabe des Betreuers o<strong>der</strong> Bevollmächtigten<br />

zu prüfen, ob die Festlegungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Patientenverfügung<br />

auf die konkrete Lebens- und Behandlungssituation des<br />

Betroffenen zutreffen. Ist das <strong>der</strong> Fall und gibt es ke<strong>in</strong>e konkreten<br />

Anhaltspunkte dafür, dass <strong>der</strong> Betroffene se<strong>in</strong>e Entscheidung geän<strong>der</strong>t<br />

hat, ist es Aufgabe des Betreuers, dem Behandlungswillen des<br />

Betroffenen Ausdruck und Geltung zu verschaffen. E<strong>in</strong>willigungsunfähig<br />

ist, wer Art, Bedeutung und Tragweite – auch die Risiken<br />

– <strong>der</strong> Maßnahme zu erfassen und se<strong>in</strong>en Willen hiernach zu bestimmen<br />

nicht vermag. E<strong>in</strong>e Genehmigung durch das Vormund-<br />

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