Psychische Erkrankungen in der Lebensspanne ... - DGPPN
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Topic 22 G Philosophie, Geschichte und Ethik // Philosophy, history and ethics<br />
te <strong>der</strong> Ethnologie und Anthropologie ist von e<strong>in</strong>er zunehmenden,<br />
empirisch basierten Kritik an solchen Vere<strong>in</strong>fachungen gekennzeichnet<br />
und hat E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> Konzepte <strong>der</strong> Transkulturellen Psychiatrie<br />
gefunden, welche die differenzierte Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung<br />
mit dem <strong>in</strong>dividuellen Krankheitsverständnis von Patient<strong>in</strong>nen<br />
und Patienten ebenso wie die Reflektion über die eigenen diszipl<strong>in</strong>ären<br />
Vorannahmen <strong>der</strong> Behandler<strong>in</strong>, des Behandlers for<strong>der</strong>t.<br />
002<br />
Das verkörperte Selbst: e<strong>in</strong> Paradigma für e<strong>in</strong>e kulturwissenschaftlich<br />
orientierte Psychiatrie<br />
Thomas Fuchs (Unikl<strong>in</strong>ikum Heidelberg, Psychiatrie)<br />
E<strong>in</strong>leitung: Der Begriff <strong>der</strong> Verkörperung („embodiment“) entwickelt<br />
sich gegenwärtig zu e<strong>in</strong>em Schlüsselkonzept im <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären<br />
Feld zwischen Philosophie, Psychologie, Psychiatrie und<br />
Neurowissenschaften.<br />
Methode: Das Konzept des verkörperten Selbst wird phänomenologisch<br />
erläutert und <strong>in</strong> den Zusammenhang <strong>der</strong> Theorien von Gehirn<br />
und Geist gestellt.<br />
Diskussion / Ergebnisse: Das Konzept ist zum e<strong>in</strong>en geeignet, reduktionistische<br />
Konzeptionen des Verhältnisses von Gehirn und<br />
Geist zu überw<strong>in</strong>den: Das Gehirn ersche<strong>in</strong>t danach nicht mehr als<br />
Produzent des Geistes, son<strong>der</strong>n als e<strong>in</strong> Vermittlungsorgan für die<br />
Beziehungen von Organismus und Umwelt. Zum an<strong>der</strong>en lässt sich<br />
auf <strong>der</strong> Grundlage des embodiment-Konzepts e<strong>in</strong>e „Psychopathologie<br />
des verkörperten Selbst“ entwickeln: Sie schreibt psychische<br />
Krankheit we<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er psychischen noch e<strong>in</strong>er neuronalen Innenwelt<br />
zu, son<strong>der</strong>n fasst sie als Störung <strong>in</strong> den ökologischen Beziehungen<br />
von Subjekt, Gehirn, Organismus und Umwelt auf. Damit<br />
wird die E<strong>in</strong>beziehung <strong>der</strong> sozialen und kulturellen Lebenswelt zu<br />
e<strong>in</strong>em essenziellen Bestandteil psychiatrischer Diagnostik und<br />
Therapie. Dies wird am Beispiel <strong>der</strong> Schizophrenie erläutert.<br />
003<br />
Imag<strong>in</strong>ation als Thema geisteswissenschaftlicher Forschung <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Psychopathologie<br />
Michael Schmidt-Degenhard (Florence Night<strong>in</strong>gale, KH <strong>der</strong> Kaiserswerther<br />
Diakonie, Düsseldorf)<br />
Der Begriff Imag<strong>in</strong>ation me<strong>in</strong>t mit e<strong>in</strong>er gewissen Doppeldeutigkeit<br />
e<strong>in</strong>mal das seelisch-geistige Vermögen <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft<br />
selbst, dann aber auch die Manifestationen und „Produkte“ desselben.<br />
Der Imag<strong>in</strong>ation ist noematisch <strong>der</strong> Bereich des Imag<strong>in</strong>ären<br />
zuzuordnen, als dessen Konkretisierung das Fiktive <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en unterschiedlichen<br />
Ausgestaltungen ersche<strong>in</strong>t. Die häufig <strong>in</strong> diesem<br />
Zusammenhang genannte literarische o<strong>der</strong> künstlerische E<strong>in</strong>bildungskraft<br />
stellt nur die beson<strong>der</strong>e Ausformung e<strong>in</strong>er sehr viel allgeme<strong>in</strong>eren<br />
seelisch-geistigen Fähigkeit dar, die unmittelbar mit<br />
den Leistungen und <strong>der</strong> Organisation des Bewusstse<strong>in</strong>s zusammenhängt<br />
und also von grundlegen<strong>der</strong> Bedeutung für die Bestimmung<br />
menschlicher Subjektivität ist. In <strong>der</strong> abendländischen Geistesgeschichte<br />
entstand hieraus das Problem des Gegensatzes von<br />
Sche<strong>in</strong> und Wirklichkeit bzw. von Fiktion und Realität, das zu sehr<br />
unterschiedlichen, kontrastierenden Auffassungen und Bewertungen<br />
<strong>der</strong> ontischen und anthropologischen Bedeutung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft<br />
führte. Die ausgesprochen positive Bewertung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft<br />
bei Kant und den Philosophen des deutschen<br />
Idealismus entfaltete ihren E<strong>in</strong>fluss <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e auch auf die anthropologisch<br />
orientierte Konzeption <strong>der</strong> Psychiatrie <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten<br />
Hälfte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts. Die strukturdynamische Psychopathologie<br />
W. Janzariks gehört zu den wenigen psychiatrischen Konzeptionen<br />
<strong>der</strong> Gegenwart, <strong>in</strong> denen <strong>der</strong> Imag<strong>in</strong>ation ihre durch die<br />
menschenkundliche Erfahrung begründete wesentliche Rolle bei<br />
<strong>der</strong> theoretischen Grundlegung zuerkannt wird. So spricht Janzarik<br />
von <strong>der</strong> imag<strong>in</strong>ären Matrix des Seelischen. Aus dieser erwachsen<br />
die imag<strong>in</strong>ativen Potenzen des Menschen, die <strong>in</strong> verschiedenen Ge-<br />
staltungsformen und verschiedenen Intensitätsgraden <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung<br />
treten können. Die sich hierbei entwickelte Erlebniswirklichkeit<br />
des Imag<strong>in</strong>ären stellt e<strong>in</strong> zentrales Moment des Psychotischen<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>en unterschiedlichen kl<strong>in</strong>ischen Ersche<strong>in</strong>ungsformen dar.<br />
Das Wähnen, die halluz<strong>in</strong>atorischen Erlebniswelten, die oneiroide<br />
Erlebnisform, aber auch die konfabulatorischen Symptome erweisen<br />
sich <strong>in</strong> solcher H<strong>in</strong>sicht als differente Ausformungen <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft.<br />
In e<strong>in</strong>er solchen anthropologischen Perspektive<br />
ersche<strong>in</strong>t das psychopathologische Phänomen, <strong>in</strong> dem sich die<br />
Wirklichkeit es Imag<strong>in</strong>ären gestaltet, als <strong>der</strong> Versuch e<strong>in</strong>er imag<strong>in</strong>ativ<br />
vermittelten S<strong>in</strong>nstiftung angesichts <strong>der</strong> Bedrohung des Subjektes<br />
durch die psychotische S<strong>in</strong>nauflösung. Die Berücksichtigung<br />
<strong>der</strong> Imag<strong>in</strong>ation bei <strong>der</strong> Konstituierung psychotischer Erlebniswelten<br />
vermag daher zu e<strong>in</strong>er verstehenden Annäherung an den Kranken<br />
beizutragen, wenn wir se<strong>in</strong> Wahnerleben als e<strong>in</strong>e reparative<br />
und s<strong>in</strong>ngestaltige Leistung und Schöpfung <strong>der</strong> Imag<strong>in</strong>ation anerkennen<br />
und ernst nehmen.<br />
004<br />
Friedrich Nietzsche und die psychiatrische Hermeneutik<br />
Matthias Bormuth (Universität Tüb<strong>in</strong>gen, Inst. für Ethik und Geschichte<br />
<strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong>)<br />
Bevor Nietzsches Bedeutung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Philosophie erkannt wurde,<br />
entdeckte die psychiatrische Welt den unzeitgemäßen Denker mit<br />
se<strong>in</strong>er Verstehenslehre. Sigmud Freud las schon früh die Schriften<br />
Nietzsches im Wien des F<strong>in</strong> de Sìecle, die stark se<strong>in</strong>e Theorie <strong>der</strong><br />
unbewußten Psychodynamik bee<strong>in</strong>flussten. William James nahm<br />
nach 1900 die Idee unbewusster Vorurteile <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e pragmatische<br />
Psychologie religiöser Erfahrungen auf. Max Weber entwickelte zu<br />
dieser Zeit e<strong>in</strong>e soziologische Hermeneutik, die Nietzsches Vorstellung<br />
aus <strong>der</strong> Genealogie <strong>der</strong> Moral folgte, verschiedene Ressentiments<br />
prägten unser Denken, Fühlen und Handeln. Max Scheler<br />
folgte kritisch dieser Spur, als er moralische Ressentiments als Motiv<br />
<strong>der</strong> Wertbildung untersuchte. Von diesen Quellen her entwickelte<br />
Karl Jaspers die psychiatrische Verstehenslehre <strong>in</strong> <strong>der</strong> Psychiatrie,<br />
die auch entscheidend für die methodischen Überlegungen<br />
des frühen Kurt Schnei<strong>der</strong> wurden. Später berief sich Mart<strong>in</strong> Heidegger<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Hauptwerk Se<strong>in</strong> und Zeit auf Nietzsche und dessen<br />
Topos des kritischen Verstehens. Die anthropologische Psychiatrie<br />
folgte se<strong>in</strong>er Auslegung teilweise. Allerd<strong>in</strong>gs g<strong>in</strong>g über diesen<br />
Rezeptionsweg weitgehend die methodische E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> die moralpsychologischen<br />
Vorurteile des Verstehens verloren. Der Vortrag<br />
arbeitet idealtypisch die Unterschiede <strong>in</strong> <strong>der</strong> Weise heraus, wie <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Psychiatrie nach 1900 jeweils Nietzsches Topos <strong>der</strong> unbewußten<br />
Vorurteile des Verstehens aufgenommen wurden, und erläutert<br />
die aktuelle Relevanz <strong>der</strong> ideenhistorischen Analyse.<br />
Freitag, 27. 11. 2009, 15.30 – 17.00 Uhr, Saal 4<br />
DF-007 Diskussionsforum<br />
Das Selbst – Konstrukt o<strong>der</strong> Realität?<br />
Vorsitz: M. He<strong>in</strong>ze (Bremen), T. Fuchs (Heidelberg)<br />
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