Psychische Erkrankungen in der Lebensspanne ... - DGPPN
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Topic 22 G Philosophie, Geschichte und Ethik // Philosophy, history and ethics<br />
Topic: 22 Philosophie, Geschichte und Ethik<br />
Mittwoch, 25. 11. 2009, 15.30 - 17.00 Uhr, Saal 4<br />
B-004 Beson<strong>der</strong>e Veranstaltung<br />
War König Ludwig II von Bayern krank?<br />
Vorsitz: F. M. Böcker (Naumburg), R. Ste<strong>in</strong>berg (Kl<strong>in</strong>genmünster)<br />
001<br />
War das psychiatrische Gutachten B. von Guddens über Ludwig II.<br />
korrekt?<br />
He<strong>in</strong>z Häfner (ZI für Seelische Gesundheit, Mannheim)<br />
E<strong>in</strong>leitung: Im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t führten konstitutionelle Monarchien<br />
<strong>in</strong> Deutschland Verfassungsbestimmungen zur Entmachtung<br />
regierungsunfähiger Herrscher e<strong>in</strong>. Der Psychiatrie fiel e<strong>in</strong>e Schlüsselrolle<br />
zu: 1. e<strong>in</strong>e geistige Störung und dauerhafte Regierungsunfähigkeit<br />
des Herrschers festzustellen und 2. den Entmachteten <strong>in</strong><br />
psychiatrischem Gewahrsam unterzubr<strong>in</strong>gen. Gegenüber früheren<br />
Verfahren <strong>der</strong> Beseitigung abgesetzter Herrscher – Tötung, E<strong>in</strong>kerkerung,<br />
Verbannung – war dies e<strong>in</strong> rechtshistorischer Fortschritt.<br />
König Ludwig II. (1846-1886) verursachte mit dem Bau pompösmajestätischer<br />
Schlösser und mehr als 200 Privatvorstellungen <strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong>en Hoftheatern wachsende Schulden, die <strong>der</strong> königlichen Familie,<br />
nicht dem Staatshaushalt zur Last fielen. Der luitpold<strong>in</strong>ische<br />
Zweig se<strong>in</strong>er Familie, geführt von se<strong>in</strong>en beiden Nachfolgern im<br />
Königsamt, versuchte ab 1882 den Schuldenanstieg zu stoppen, zumal<br />
<strong>der</strong> König den Bau e<strong>in</strong>es noch größeren Schlosses plante. Im<br />
Juli 1885 war die Regierung endlich zur verfassungsrechtlich notwendigen<br />
Mitwirkung am Absetzungsverfahren bereit.<br />
Methode: Die Suche nach e<strong>in</strong>em renommierten Psychiater, <strong>der</strong><br />
bereit war, den König zweifelsfrei als geisteskrank und regierungsunfähig<br />
zu erklären, endete, nachdem u. a. <strong>der</strong> Wiener Ord<strong>in</strong>arius<br />
Leidesdorff ausgeschieden war, bei dem Münchner Lehrstuhl<strong>in</strong>haber<br />
für Psychiatrie Bernhard von Gudden. Beim ersten Gespräch<br />
mit den M<strong>in</strong>istern erklärte er, dass <strong>der</strong> König zweifelsfrei geisteskrank<br />
sei. Se<strong>in</strong> Vorgehen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vorbereitung des Gutachtens, bei<br />
<strong>der</strong> konspirativen Vernehmung von Zeugen und se<strong>in</strong> Gutachten,<br />
das er ohne Untersuchung des Königs und ohne Befragung <strong>der</strong><br />
Leib- und Hofärzte verfasst hatte, werden dargestellt. An<strong>der</strong>erseits<br />
werden die Leistungen und das Verhalten des nach se<strong>in</strong>er Entmündigung<br />
zusammen mit von Gudden ertrunkenen Königs und das<br />
Sektionsprotokoll analysiert.<br />
Diskussion / Ergebnisse: Die Ergebnisse, publiziert unter H. Häfner<br />
(2008) E<strong>in</strong> König wird beseitigt, Beck-Verlag, München,<br />
werden, soweit sie von <strong>der</strong> traditionellen Geschichtsschreibung<br />
(Handbuch <strong>der</strong> Bayr. Geschichte von 2003) abweichen, vergleichend<br />
dargestellt. Die Quellen wurden im Rahmen e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären<br />
von <strong>der</strong> Robert-Bosch- und <strong>der</strong> Fritz-Thyssen-Stiftung<br />
geme<strong>in</strong>sam geför<strong>der</strong>ten Forschungsvorhaben (Projektmitarbeiter:<br />
F. Sommer / Neuere Geschichte, P. Kirchhof / Allgeme<strong>in</strong>es- und<br />
Verfassungsrecht und H. Häfner / Psychiatrie und Projektleiter) erarbeitet<br />
und ausgewertet.<br />
002<br />
Das Gutachten von Guddens über König Ludwig II. von Bayern<br />
Hans-Jürgen Möller (Ludwig-Maximilians-Universität, Psychiatrie<br />
und Psychotherapie, München)<br />
E<strong>in</strong>leitung: Professor von Gudden war zu se<strong>in</strong>er Zeit e<strong>in</strong> berühmter<br />
Psychiater. Se<strong>in</strong>e wissenschaftliche und kl<strong>in</strong>ische Exzellenz<br />
führten dazu, dass er schon als relativ junger Arzt (mit 31 Jahren)<br />
1855 Direktor <strong>der</strong> unterfränkischen „Kreisirrenanstalt“ Werneck<br />
wurde. Nach se<strong>in</strong>er 14jährigen dortigen Tätigkeit kam er 1869 dem<br />
468<br />
Ruf als Professor und Direktor <strong>der</strong> Psychiatrischen Kl<strong>in</strong>ik Burghölzli<br />
<strong>in</strong> Zürich nach. Von dort wurde er schließlich 1872 zum Professor<br />
für Psychiatrie an <strong>der</strong> Universität München und Direktor <strong>der</strong><br />
„Oberbayerischen Kreisirrenanstalt“ berufen, e<strong>in</strong>e Tätigkeit, die er<br />
bis zu se<strong>in</strong>em vorzeitigen Tod 1886 ausübte.<br />
Methode: Im Vortrag wird versucht, das Gutachten von von Gudden<br />
aus <strong>der</strong> Sicht se<strong>in</strong>er Zeit zu sehen und <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e den<br />
In formationsstand zugrunde zu legen, den von Gudden aus den<br />
verschiedenen ihm vorgelegten Zeugenaussagen h<strong>in</strong>sichtlich psychopathologischer<br />
Verän<strong>der</strong>ungen von König Ludwig II. hatte.<br />
Rechtliche Fragen, <strong>in</strong> wieweit von Gudden berechtigt war, e<strong>in</strong> Gutachten<br />
auf Grund fremdanamnestischer Angaben zu erstellen, und<br />
<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Frage, ob von Gudden ggf. e<strong>in</strong>er politischen Intrige<br />
zum Opfer fiel, werden dabei nicht diskutiert. Es werden die berichteten<br />
Beson<strong>der</strong>heiten des Erlebens und Verhaltens von König<br />
Ludwig II., wie er sie <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Gutachten dargelegt hat und im<br />
S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> deskriptiven Psychopathologie als Symptome bewertet<br />
hat, dargestellt. Darauf basierend wird die Frage geprüft, ob die diagnostische<br />
Zuordnung, die von Gudden vorgenommen hat, dem<br />
damaligen Kenntnisstand entsprach. Schließlich wird die Frage diskutiert,<br />
ob von Gudden eventuell an<strong>der</strong>en relevanten psychopathologischen<br />
Sachverhalten, etwa im H<strong>in</strong>blick auf Komorbidität (z. B.<br />
Schlaf- und Schmerzmittelabusus, Alkoholabusus) nicht o<strong>der</strong> zu<br />
wenig Beachtung geschenkt hat und ggf. die dadurch bed<strong>in</strong>gte Mitverursachung<br />
<strong>der</strong> psychiatrischen Hauptsymptomatik nicht ausreichend<br />
gewürdigt hat.<br />
Diskussion / Ergebnisse: Abschließend wird die Frage gestellt, ob<br />
die aus <strong>der</strong> von von Gudden unterstellten psychiatrischen Diagnose<br />
und <strong>der</strong> damit aus se<strong>in</strong>er Sicht verbundenen Prognose abgeleitete<br />
gutachterliche Schlussfolgerung, dass König Ludwig II. se<strong>in</strong>e Amtsgeschäfte<br />
nicht weiter erledigen könne, angemessen war.<br />
003<br />
Die letzten Jahre des Bayrischen Märchenkönigs aus psychiatrischer<br />
Sicht<br />
Detlev von Zerssen (Starnberg)<br />
Ludwig II. von Bayern betrat 1864 – nach dem frühen Tod se<strong>in</strong>es<br />
Vaters Maximilian II. – mit 18 Jahren als strahlend schöner, schlanker,<br />
schwärmerischer, kunst- und musiklieben<strong>der</strong> „Märchenkönig“<br />
die politische Bühne. Doch schon <strong>in</strong> den ersten Jahren se<strong>in</strong>er Herrschaft<br />
fielen an ihm Verhaltenszüge auf, welche die ICD-10-Kriterien<br />
e<strong>in</strong>er schizotypen Störung <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit e<strong>in</strong>er komb<strong>in</strong>ierten<br />
Cluster-B-Persönlichkeitsstörung erfüllten. Sie verstärkten sich<br />
noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folgezeit und führten <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en letzten Lebensjahren<br />
zur Ausbildung e<strong>in</strong>es „Cäsarenwahns<strong>in</strong>ns“ (s. Pelman 1910: <strong>Psychische</strong><br />
Grenzzustände). Dieser stellt aus heutiger Sicht e<strong>in</strong> typisches<br />
Muster suchtartiger Verhaltensexzesse dar. Es umfasst u. a. Herrschsucht,<br />
Prunksucht, Bausucht, Verschwendungssucht und Genusssucht<br />
auf kul<strong>in</strong>arischem und sexuellem Gebiet, sowie e<strong>in</strong>en Hang<br />
zur Grausamkeit und zu irrationalen, oft theatralischen Handlungen<br />
und tritt bei primär ausgesprochen egomanischen Herrschern<br />
im Gefühl (bei Ludwig freilich nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fantasie bestehen<strong>der</strong>) unbegrenzter<br />
Machtfülle auf. Ob die Entstehung dieses Syndroms bei<br />
ihm durch e<strong>in</strong> (orbitales) Stirnhirnsyndrom begünstigt wurde und<br />
ob e<strong>in</strong> solches auf e<strong>in</strong>em schleichenden neurodegenerativen Prozess<br />
o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Dekompensation e<strong>in</strong>er anfänglich funktionell noch<br />
weitgehend kompensierten Stirnhirnschädigung im Säugl<strong>in</strong>gsalter<br />
beruhte, s<strong>in</strong>d offene Fragen. Die Entwicklung endete im 41. Lebensjahr<br />
des <strong>in</strong>zwischen adipös und fast zahnlos gewordenen Monarchen<br />
tragisch mit se<strong>in</strong>er Entmündigung, Absetzung, Internierung<br />
und schließlich se<strong>in</strong>em Tod (Suizid? – Fluchtversuch??) im Starnberger<br />
See, nachdem er se<strong>in</strong>en (verantwortungsloser Weise e<strong>in</strong>zigen)<br />
Begleiter, se<strong>in</strong>en psychiatrischen Gutachter und Betreuer<br />
Bernhard von Gudden, umgebracht hatte. Im Herzen vieler se<strong>in</strong>er<br />
Landsleute lebt aber das Bild vom schönen Märchenkönig, ihrem