17.10.2013 Aufrufe

Bericht - Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Bericht - Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Bericht - Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

(b) Die Heranziehung des unterhaltspflichtigen Ehemanns als mögliches Hindernis <strong>für</strong> ein<br />

Neuarrangement der getrennt lebenden Eheleute<br />

In der Praxis kommt es immer wieder vor – auch die Empfehlungen des „Deutschen Vereins <strong>für</strong> öffentliche<br />

<strong>und</strong> private Fürsorge“ sprechen dies an – 176 , dass ins <strong>Frauen</strong>haus flüchtende <strong>Frauen</strong> be<strong>für</strong>chten,<br />

eine aus ihrer Sicht verfrühte förmliche Heranziehung des unterhaltspflichtigen Mannes<br />

durch Anspruchsübergang auf die zuständige Behörde könne eine „Versöhnung“ mit dem (Ehe-)<br />

Partner behindern; deshalb solle der Anspruchsübergang zeitweilig unterbleiben.<br />

Insoweit ist zunächst zu bedenken, dass dieses Anliegen der <strong>Frauen</strong> mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG<br />

(Schutz der Ehe) Respekt verdient, denn das Gr<strong>und</strong>gesetz schützt auch die Bereitschaft der (Ehe-)<br />

Partnerin, mit Blick auf die (zeitweilig) destruktiven Eigenschaften <strong>und</strong> Verhaltensweisen des (Ehe-)<br />

Partners eigene Maßstäbe von Versöhnungsbereitschaft zu formulieren, 177 die <strong>für</strong> Außenstehende<br />

schwer nachvollziehbar sein können <strong>und</strong> bestenfalls als hochgradig befremdlich <strong>und</strong> unvernünftig<br />

erscheinen. Gleichwohl ist das Anliegen einer – zumal im <strong>Frauen</strong>haus k<strong>und</strong>ig beratenen – gewaltbetroffenen<br />

Frau, dass die fragile Option der Wiederannäherung von Täter <strong>und</strong> Opfer (einstweilen)<br />

nicht durch den Anspruchsübergang gestört werden solle, auch von Verfassungs wegen zu respektieren.<br />

Hinzu kommt, dass ein (zeitweiliges) „Hinausschieben“ 178 des Anspruchsübergangs deeskalierend<br />

wirken kann, wenn nicht auszuschließen ist, dass die Heranziehung die Gefährdung der Frau<br />

durch den gewaltbereiten (Ehe-)Mann vergrößern könnte.<br />

Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> sollte wie im SGB XII auch im SGB II geregelt werden, dass bei unbilliger Härte<br />

ein Anspruchsübergang ausgeschlossen ist (vgl. § 94 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII). 179 Allerdings setzt<br />

dies voraus, dass der Leistungsträger entsprechende Nachweise hat oder auf sonstige Weise Kenntnis<br />

erlangt hat (vgl. § 94 Abs. 3 S. 2 SGB XII). Wenn nicht im Gesetz selbst, so doch in der amtlichen<br />

Begründung des Änderungsgesetzes oder in auslegungsleitenden Verwaltungsvorschriften sollte<br />

klargestellt werden, dass hierbei der von der Frau glaubhaft signalisierte „Versöhnungswille“ ausschlaggebend<br />

ist. Freilich ist zu bedenken, dass an eine „Versöhnung“ nicht moralisierende Maßstäbe<br />

angelegt werden dürfen, sondern als Maßstab nur zu gelten hat, ob die betroffene Frau das Zusammenleben<br />

wieder herstellen – sich also in diesem Sinne „versöhnen“, d.h. in die frühere häusliche<br />

Umgebung zurückkehren – will, die von ihr nunmehr nicht mehr als gewaltgeprägt eingeschätzt wird.<br />

Nur in diesem nicht-moralisierenden Sinne, der allein auf die Perspektive der Frau abstellt, kann ein<br />

„Versöhnungswille“ in praktisch operabler Weise festgestellt werden.<br />

Ein Widerspruch zu der Frage, wann die bisherige Bedarfsgemeinschaft mit dem (Ehe-)Mann aufgelöst<br />

wird (oben b. aa.), besteht im Übrigen nicht. Entscheidend <strong>für</strong> die Auflösung der bisherigen Bedarfsgemeinschaft<br />

<strong>und</strong> die Begründung einer neuen Bedarfsgemeinschaft durch Zuflucht im <strong>Frauen</strong>-<br />

176 Vgl. Deutscher Verein <strong>für</strong> öffentliche <strong>und</strong> private Fürsorge, Empfehlungen zu Hilfeleistungen an von häuslicher<br />

Gewalt betroffene <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> ihre Kinder insbesondere im Rechtskreis des SGB II, Nachrichtendienst des<br />

Deutschen Vereins <strong>für</strong> öffentliche <strong>und</strong> private Fürsorge (NDV) 2008, S. 365 (369).<br />

177 Dass Versöhnungsbereitschaft zum Selbstverständnis von Eheleuten gehören kann, deutet sich auch im<br />

<strong>Familie</strong>nrecht an, vgl. § 1567 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): „Ein Zusammenleben über kürzere Zeit, das<br />

der Versöhnung der Ehegatten dienen soll, unterbricht oder hemmt die in § 1566 bestimmten Fristen nicht.“<br />

Ob der Versöhnungsversuch aus Sicht eines Dritten aussichtslos oder unverständlich ist, ist irrelevant, vgl. Wolf,<br />

Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 7, 4. Aufl. 2000, § 1567 Rn. 66.<br />

178 Dazu bereits oben Teil 2, B. I. 2. B) cc) (2) (a).<br />

179 Vgl. Deutscher Verein <strong>für</strong> öffentliche <strong>und</strong> private Fürsorge, Empfehlungen zu Hilfeleistungen an von häuslicher<br />

Gewalt betroffene <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> ihre Kinder insbesondere im Rechtskreis des SGB II, Nachrichtendienst des<br />

Deutschen Vereins <strong>für</strong> öffentliche <strong>und</strong> private Fürsorge (NDV) 2008, S. 365 (369).<br />

253

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!