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• M B - Brasiliana USP

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dahin hatten sie, wie wir auf der Expedition, von der Hand in den Mund gelebt,<br />

und da war das Alleinessen um der Ruhe und des Friedens willen vielleicht eine<br />

verstàndige, nützliche Einrichtung gewesen. Jene Einrichtung, von Jugend auf<br />

o-eübt und eine Gewohnheit geworden, die im Blute steckte, wurde auch in<br />

die Zeit des sesshaften Lebens hinübergenommen, wo der Feldbau überwog<br />

und sie keinen Sinn mehr hatte. Da entwickelte sich das Schamgefühl. Denn<br />

man konnte sie ais wirklich vemünftig nicht mehr begründen, man prüfte sie<br />

auch gar nicht auf ihre Berechtigung durch die Umstànde, eine jede alte Gewohnheit<br />

ist um ihrer selbst willen da; was man dann »heilig« nennt, weil sie<br />

schlechthin eine Sache des Gefühls geworden ist. Man schámt sich, wenn Einer<br />

dawider verstõsst, und schámt sich um so redlicher, je weniger man sagen konnte,<br />

was er eigentlich Schlimmes verbrochen hat. Wer einen andern Entwicklungsgang<br />

durchgemacht hat, auf die Sache selbst sieht und nicht auf den falschen,<br />

durch Umdeutung gewonnenen Begriff, der an ihrer Stelle steht, fragt erstaunt:<br />

«warum schickt es sich nicht, nicht allein zu essen?« »Warum«, fragt der Bakairí<br />

uns, «schickt es sich nicht, nackt zu sein?« Der Eine müsste wissen, dass man<br />

unter seinen Kleidern »nackt« bleibt, der Andere, dass man auch in der grõssten<br />

Gesellschaft «allein* isst. Ganz gewiss geht unser Schamgefühl im Verkehr der<br />

beiden Geschlechter auf eine Zeit zurück, ais Jeder noch dafür sorgen musste,<br />

dass er seine Frau für sich allein hatte, sie vor den begehrlichen Blicken der<br />

Stammesgenossen zu schützen suchte und dazu die, sei es nun aus Freude am<br />

Schmuck oder aus Nützlichkeitsgründen hervorgegangene Kleidung benutzte. Da<br />

wurde denn die Kleidung selbst heilig. Es ist gewiss eine interessante Parallele,<br />

wenn wir uns die nackten Indianer ais eine unanstándige Gesellschaft denken<br />

und uns in die Seele eines Bakairí versetzen, der sich vor Scham nicht zu helfen<br />

wüsste, wenn er die fürchterlich unanstándigen Europàer bei einer Table d'hôte<br />

vereinigt sãhe. Er würde sich aber rasch daran gewõhnen und sich vielleicht in<br />

der nãchsten Nacht an den Kulisehu zurücktràumen, dort Alt und Jung gemütlich<br />

zusammen beim Schmaus eines Tapirbratens finden und erstaunt sich von<br />

dem Hàuptling belehren lassen: «wir essen jetzt immer miteinander«.<br />

Tabakkollegium. Am natürlichsten gaben sich meine Freunde Abends<br />

nach des Tages Last und Mühen, wenn wir Mánner auf dem Dorfplatz rauchend<br />

zusammensassen. Eine harmlosere Lustigkeit war nicht gut denkbar, obgleich<br />

oder weil, wenn man will, Nichts dabei getrunken wurde. Pünktlich wie der erste<br />

der Honoratioren mit seiner langen Pfeife am Stammtisch, erschien der steifbeinige<br />

alte Paleko, das spindelfõrmige Tabakbündel, einen Zweig mit Wickelbláttern<br />

und einen Holzkloben in den Hánden und hockte behaglich seufzend auf<br />

dem Sitzbalken nieder. Mir that bald der Rücken weh in dieser Sitzlage von<br />

einer Handbreit über dem Boden, und ich schleifte meine Ochsenhaut aus der<br />

Hütte heran. Ein paar Hõlzer wurden radienfõrmig mit dem glimmenden Kloben<br />

zusammengelegt und ein Feuerchen angeblasen. Die Thonpfeife war unbekannt,

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