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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 6<br />

Denn eine der Offenbarungen dieses Buches liegt gerade in dieser<br />

Solidarität. T<strong>ro</strong>tz des Rufes, den wir Rumänen im Ausland haben und den wir<br />

mitunter gar selber nähren – nämlich zerstritten, einer gemeinsamen Aktion<br />

unfähig zu sein – , siehe da, in Augenblicken der Gefahr gab es auch diese<br />

Einigung der Kräfte. Die Seiten, die der Autor dem Streik von Oranki widmet, wo<br />

die Sklaven das Recht auf Repatriierung erzielten, müsste all jene trösten<br />

können, die eine Identitätskrise erlitten während der letzten Wahlen. „Wie kann<br />

man Rumäne sein?“ fragten sich viele wieder und wieder. Diese müssen bloß<br />

dieses Buch öffnen, um etwas zu haben, worauf sie stolz sein können. Keine<br />

andere Gefangenengruppe hatte für den Kampf gegen den Hunger ein scheinbar<br />

so unpassendes Mittel erfunden, wie es der Hungerstreik ist. In keiner anderen<br />

Gemeinschaft des Lagers wurde eine Taktik entworfen, die so rasch Resultate<br />

einbrachte: Wenn ein Streikender zur Strafe in die Isolationszelle gebracht<br />

wurde, nahm sofort jemand aus der Gruppe seine Stelle ein. Um diese Solidarität<br />

zu beschreiben, die bis zu Gesten der Aufopferung ging, berichtet der Autor,<br />

dass sie gelernt hatten, einander zu lieben. Liebe, Freundschaft und<br />

Kameradschaft, welche die Nichtrumänen keineswegs ausschloss: die<br />

Beziehungen im Lager zu einer Gruppe von Ungarn sind engster Natur, die<br />

Begegnung mit deportierten Zigeunern aus Rumänien in einem Viehwaggon (der<br />

Autor nennt die Waggons, in welche die Häftlinge gesteckt wurden,<br />

„Ochsenwaggons“,) lösen Gejohle und Freude aus, ja sogar die Leiden des<br />

russischen Volkes werden von Radu M\rculescu beklagt und mit Versen<br />

Lermontows bedauert, als dieser ins Exil gehen musste: „Ade, mein<br />

ungewaschenes Russland,/ Reich der Herren und der Knechte,/ Ade, ihr blauen<br />

Mützen,/ Ade, ihnen untertänigstes Volk!“ 6<br />

Der Autor ist ein Intellektueller. Als Lehrer für Philosophie und rumänische<br />

Literatur in einem Bukarester Lyzeum scheint es ihm selbstverständlich, in der<br />

Kultur eine Stütze zu suchen. Das on den Häftlingen in eine Universität<br />

umgewandelte Gefängnis – dies ist ein Gemeinplatz in fast allen<br />

Zeugnisberichten aus den Haftanstalten. Im Sinn geblieben ist mir aber auch<br />

das, was ein französischer Schriftsteller gesagt hat, der mit Pascal im Tornister<br />

an die F<strong>ro</strong>nt gezogen war. Für die Begegnung mit dem Tod. Für die letzten<br />

Fragen. Für die blitzartige Antwort, vielleicht. Das Buch blieb in seinem Tornister.<br />

Er hatte gar nicht mehr daran gedacht, es zu öffnen. Durch ihre Grausamkeit und<br />

Sinnlosigkeit hatte die Realität der Kämpfe dem geschriebenen Wort get<strong>ro</strong>tzt.<br />

Nichts dergleichen bei Radu M\rculescu. Zum Glück für ihn. Im Gegenteil, er<br />

findet zu sich selber zurück, indem er an die Wand des NKVD-Kellers von<br />

Marsank Verse von Vasile Voiculescu 7 einritzt, eines gleichermaßen g<strong>ro</strong>ßen wie<br />

von den Literaturkritikern gemiedenen Dichters, gerade so als werfe man ihm<br />

vor, sich nicht brav an das rein Ästhetische gehalten zu haben, und der wegen<br />

seiner Intransigenz – übrigens eine undemonstrative – im Alter von mehr als 70<br />

Jahren verhaftet wurde und infolgedessen, was er während der Haftzeit erlitten<br />

hat, gestorben ist. Radu M\rculescu aber, dessen Lieblingsdichter gerade<br />

Voiculescu ist, zitiert nicht bloß andere. Er selbst schreibt Märchen, lyrische<br />

6 Übersetzung der rumänischen Variante.<br />

7 1884-1963. Politischer Häftling zwischen 1958-1962.

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