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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 315<br />

84. ORANKI, ADE! AUF DASS ICH DICH ERST MIT KREUZEN AUF<br />

DEINEN TÜRMEN WIEDER SEHE<br />

Schließlich und endlich öffneten sich uns, nach zwei von Ängsten und<br />

Resignation geprägten Wochen, die Tore zum Abtransport ins Unbekannte. Es<br />

war der 16. September 1946, ein trüber und trauriger Tag. Wir wurden aus der<br />

Baracke geholt und mit allen Siebensachen auf den Platz vor der Kirche<br />

gebracht, woher die wichtigeren Konvois stets aufbrachen. Waren denn nicht<br />

ebenfalls von da mit militärischer Blasmusik und unter unseren Buhrufen die<br />

Kohorten von „toten Seelen“ mit dem <strong>ro</strong>ten Stern auf der Stirn losmarschiert,<br />

denen der Kreml die noble Mission aufgetragen hatte, Rumänien von den<br />

Rumänen zu befreien? Vorne überwachte eine Gruppe von NKVD-lern (darunter<br />

auch Terle]chi und Kolbassow) mit triumphierendem Air die<br />

Deportationsoperation, dabei standen auch ein weißer Kittel, also der Arzt, sowie<br />

das eingefallene Gesicht der Gorbatschowa, die mit verkrampften Blicken der<br />

Reihe nach über unsere Antlitze flog auf der Suche nach ihrem Geliebten.<br />

Der Offizier vom Dienst entfaltete eine Liste und begann, uns aufzurufen.<br />

Inzwischen hatte die Nachricht von unserem Aufbruch im Lager die Runde<br />

gemacht. Und es waren nicht bloß unsere rumänischen Landsleute, deren Zahl<br />

auf einige Hundert gestiegen war (infolge der von M=n\st=rka<br />

herübergeschickten Unerwünschten), sondern auch die Ungarn, die Österreicher<br />

und die Deutschen, die sich versammelten, um uns zu verabschieden und uns<br />

Beifall zu spenden. Sie hatten die Ränder der Alleen gefüllt, und wir, die wir der<br />

Reihe nach zwischen ihnen hindurch zur Kolonne schritten, wurden von<br />

Freunden beim Namen gerufen und frenetisch beklatscht von der Menge. Rufe<br />

wie „Wir stehen hinter euch! Wir werden euch nachfolgen!“ waren<br />

ununterb<strong>ro</strong>chen zu hören als Zeichen einer enthusiastischen Solidarisierung mit<br />

unserer Sache und mit unserem Schicksal.<br />

Als die Reihe auch an mich kam, bekam ich auf offener Bühne nicht nur<br />

von meinen Landsleuten, sondern auch von den anderen Gefangenen Beifall,<br />

dazu wurde Don Giacomo! Don Giacomo! (die von mir im Basar der Illusionen<br />

gespielte Person) gerufen. Schließlich war ich ein Star gewesen, wenn auch nur<br />

für sieben Abende – allein, welch unvergessliche Abende!, und ich erfreute mich<br />

auch jetzt noch der Popularität dieses Statusses, den ich übrigens recht teuer<br />

bezahlt hatte. Unterwegs trafen sich meine von einer Träne verhüllten Blicke mit<br />

den weniger nassen meiner engsten Freunde, mit jenen Mihai R\ducanus und<br />

Petric\ Ilies, den ich nie mehr wieder sehen sollte, so wie ich so viele andere, mit<br />

denen ich ein Stück B<strong>ro</strong>t, einen Ärger, einen Gedanken oder einen begnadeten<br />

Augenblick geteilt hatte, nie mehr sehen sollte, und die mir nun zuwinkten und<br />

inständig meinen Namen ausriefen. Traurig sind sie, die Trennungen in der Welt<br />

des Stacheldrahts!<br />

Als sich das Tor weit öffnete, gingen die Zurufe des gesamten Lagers in<br />

einen anhaltenden Donner über. Ich verglich diese Explosion von Solidarität mit<br />

dem elenden Brandmarkungsmeeting, den die Kreaturen des Kommissariats

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