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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 47<br />

den ich auf den Bällen der Garnison kennen gelernt hatte – in eigener Manier<br />

das P<strong>ro</strong>blem von Ehre und Freiheit gelöst. Die Pistole betrachtend, erinnerte ich<br />

mich daran, dass ich vergessen hatte, die meine zusammen mit den anderen<br />

Waffen wegzuwerfen – das fehlte mir gerade noch: dass mich die Russen mit<br />

einer Pistole bei mir erwischten – und griff zur Seite, um sie aus der Tasche zu<br />

holen. Im gleichen Moment aber fühlte ich, wie mein Handgelenk von hinten von<br />

einer Hand kraftvoll ergriffen wurde. Es war Ivans Hand, der glaubte, meine<br />

Geste verrate desgleichen Selbstmordgedanken.<br />

«Nein, Ivan! Keine Angst! Ich wollte sie bloß wegwerfen, damit die da<br />

mich nicht damit erwischen.» und warf dann das Ding in den Schnee. «So etwas<br />

mache ich nicht, auch wenn es unter diesen Umständen leichter ist zu sterben,<br />

als zu leben. Wenn man aber zu leben bereit ist, hat man immerhin noch eine<br />

Chance: das Ende dieser hässlichen Geschichte zu erleben und die seinen zu<br />

sehen. Kommt, Jungs, holt meine Offizierstressen runter, damit auf meinen<br />

Schultern nur noch für das Kreuz Platz bleibt, für jenes g<strong>ro</strong>ße Kreuz, an dem wir<br />

alle tragen, jeder bis dahin, wohin seine Kräfte reichen!». Und während Ivan und<br />

Cre]u mir jeder jeweils die Tressen von einer Schulter runterholten und von der<br />

Rockschlaufe das Bändchen eines Ordens, glitzerten uns allen dreien Tränen in<br />

den Augen. Nach dieser Auto-Rangherabsetzung fiel mir dann noch die<br />

Trennung von meinem Pferd recht schwer. Es war ein junger und schöner<br />

Hengst, der folgsam und brav mich Tausende von Kilometern im Sattel getragen<br />

hatte. «Ade, Kamerad, Gott schenke dir einen glücklicheren Herrn!» Neben den<br />

Wagen standen unsere Bauernpferdchen mit ihren g<strong>ro</strong>ßen Köpfen und scharrten<br />

mit ihren kleinen Hufen im Schnee, um, ungestört von dem menschlichen Drama<br />

ringsum, ein paar gef<strong>ro</strong>rene Grashalme oder etwas Moos zu rupfen.<br />

Es gab dort auch noch etwa drei Säcke Hafer. Wir leerten sie vor die<br />

Pferde.<br />

«Los, meine Pferdchen», lud sie Ivan väterlich ein, «fresst jetzt, denn wer<br />

weiß, was auch euch noch erwartet!» Auf den Wagen fanden wir noch einige<br />

Säcke mit Lebensmitteln, Konserven und Zwieback. Wir teilten sie brüderlich<br />

untereinander auf. Und noch eine schmerzliche Trennung: jene von meinem<br />

Tagebuch. Es war ein Notizheft mit grünen Deckeln, in dem ich – aller Müdigkeit<br />

des Tages zum T<strong>ro</strong>tz – Abend für Abend alle Ereignisse und Eindrücke aus der<br />

Kampagne am Donbogen festgehalten hatte. Ich begoss es mit Benzin und<br />

zündete es an. Nach diesem Bestattungsakt schlossen wir uns der g<strong>ro</strong>ßen<br />

Menschenmenge an.<br />

Es war aber auch Zeit. Von hinten näherte sich uns gemächlich ein<br />

Kordon von Pistolenschützen, die die Kolonne abschlossen. Aus ihrer Mitte hob<br />

sich deutlich die Silhouette eines älteren Russen hervor, der in einem bis zur<br />

Erde reichenden pelzgefütterten Mantel steckte und auf dem Kopf eine Fellmütze<br />

mit schwarzen, seitwärts hängenden Klappen, gleich den müden Schwingen<br />

eines Raben, trug.<br />

In der einen Hand hielt er einen Karabiner, in der anderen eine Leine, an<br />

der ein Zwerghund mit rötlichen Zotteln und krummen Beinen zerrte.

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