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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 283<br />

74. REVOLTE IM BAUCH DES WALS<br />

Dieser Brief, der mich gleich dem ersten Frühlingshauch der Heimat<br />

rührte, erreichte mich zum unpassendsten Moment für Rührseligkeit und<br />

Seelenweicher. Im Lager reichte die Anstauung von andauernden Spannungen<br />

an den Pa<strong>ro</strong>xysmus heran. Der „Krug des Zornes“ kochte über. Was war<br />

passiert? Jedes Frühjahr, wenn die Feldarbeiten begannen und die Waldarbeit<br />

intensiviert wurde, wurde von den Gardesoldaten – wohl auf die okkulte<br />

Anweisung der politischen Lagerleitung hin – jeweils ein Mordopfer gesucht, um<br />

die Gefangenen unter Ter<strong>ro</strong>r zu halten. Vor zwei Jahren war ich im Wald neben<br />

dem Skit Zeuge bei der Erschießung eines deutschen Soldaten gewesen, der,<br />

um einem Wassertümpel mitten im Weg auszuweichen, einen einzigen Schritt<br />

aus der Kolonne getreten war (was auch andere vor ihm getan hatte, darunter<br />

auch ich). Auch jetzt klingt in meinen Ohren sein Todesschrei nach: „Mutter, ich<br />

sterbe!“ 133 Aber auch den Ausruf sadistischer Befriedigung des Mörders nach<br />

seiner Tat höre ich: „Fritz kaputt.“ 134<br />

Diesmal hatten die Schicksalswürfel Hauptmann S\vulescu auserkoren.<br />

(Wir nannten ihn auch noch Caraga]\, denn er, der vom Wesen her ein fröhlicher<br />

Kerl war, spielte allerlei Streiche, Caraga]e.) Und auch der diesjährige Mord<br />

sollte desgleichen im Wald stattfinden.<br />

Nachdem die abzuholzende Parzelle erreicht wurde, stellten sich die<br />

Wachsoldaten wie gewöhnlich ringsherum auf. Hauptmann S\vulescu bat einen<br />

der Tschassowojs um die Erlaubnis, die Arbeitszone zu verlassen, um seine<br />

Notdurft zu verrichten (was übrigens gang und gäbe war). Der Tschassowoj<br />

erlaubte ihm dies äußerst freundlich, aber dann, als der Hauptmann sich in<br />

einem Gebüsch erleichterte, schoss er kurzerhand auf ihn. Die Kugel tötete ihn<br />

aber nicht, sondern verwundete ihn bloß. Wo? Komisch. So wie er denn<br />

zusammengekrümmt in der Hocke dagesessen war, hatte sein Bauch am<br />

Oberschenkel geklebt. Nun gut, genau da war die Kugel vorbeigeschossen und<br />

hatte ihm Bauch und Bein gestreift.<br />

Lärm, Aufruhr, Hundegebell. Der Tschassowoj klagte nun den<br />

Gefangenen dessen an, er habe die Zone verlassen wollen, um zu flüchten, und<br />

deswegen habe er geschossen. Der Hauptmann, der blutete und die Hosen noch<br />

nicht einmal hochgezogen hatte, obschon geschockt, wies auf seine beiden<br />

Wunden, dazwischen einiges an Entfernung lag, die aber von einer einzigen<br />

Kugel rührten, was ja nur möglich war, wenn er in der Hocke gesessen hatte.<br />

Allein, in dieser Position hätte er nicht fliehen können.<br />

Die blutige Erscheinung des Hauptmanns und seine Erklärungen<br />

zündeten eine Explosion der Empörung unter unseren Jungs, die sofort die<br />

Arbeit niederlegten. Es folgten D<strong>ro</strong>hungen, Flüche, Gewehrkolbenschläge, kurz:<br />

die gesamte Kette von Repressalien eines entfesselten Rudels tollwütiger<br />

133 Deutsch im Original.<br />

134 Dt. im Orig.

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