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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 139<br />

unter der Erde, der Beginn eines meditativen Lebens mit diskretem Gebet knüpft,<br />

dessen erste Folgen ein Zustand einkehrender Ruhe und der Versöhnung mit mir<br />

selber und mit meinem Schicksal waren. Auch heute noch erinnere ich mich mit<br />

Rührung an diese Zeit. Diesen manchmal schüchternen Versuch, unser inneres<br />

Antlitz dem „jenseitigen“ zuzukehren, habe ich auch bei anderen meiner<br />

Kameraden verspürt. Freilich wären wir mit dieser „Suche“ ohne den Text der<br />

Heiligen Schrift und die Hilfe richtungweisender Hände nicht weit gelangt.<br />

Glücklicherweise fanden sich in unserer Rucksäcken auch noch ein paar Bibeln,<br />

die wie durch ein Wunder all den Durchsuchungen entkommen waren, und unter<br />

uns gab es auch ein paar Armeepfarrer, darunter Pfarrer Major Gheorghiu,<br />

Pfarrer Beschis und später dann auch Pfarrer Bejan, dazu auch andere Pfarrer<br />

noch, sämtlich wahre Geistliche, mit deren Hilfe viele von uns in aller<br />

Verhaltenheit Zugang zum Geheimnis der Beichte und des Abendmahls hatten,<br />

aber auch zu einer korrekten Annäherung an die g<strong>ro</strong>ßen Themen des<br />

christlichen Denkens. So kam es, dass sich nach und nach unter uns<br />

Wahlverwandschaften bildeten, die mit der Zeit unmerklich dazu beitrugen, dass<br />

zwischen uns eine heimliche und tiefe Solidarität heranwuchs. Diese sollte der<br />

Grundstein unseres Widerstands in den Lagern sein.<br />

Bis zur Gefangenschaft hatte ich die Bibel einmal ganz und das Neue<br />

Testament drei-, viermal gelesen. Ich gehörte wenn nicht zur ersten, dann zur<br />

zweiten Generation der Gebildeten (ich scheue irgendwie vor dem Terminus<br />

Intellektueller zurück), die sich nicht dessen schämte, sich inmitten des sich<br />

glorreich durchsetzenden Positivismus und Szientismus des 20. Jahrhunderts als<br />

christlich zu erklären. Desgleichen gelang es mir im Laufe der Gefangenschaft<br />

das Alte noch einmal und das Neue Testament einige Male wiederzulesen. Nun<br />

gut, diese Lektüren waren inzwischen erleuchtend. Auf Schritt und Tritt fand ich<br />

Ähnlichkeiten und Anspielungen zu den Situationen, die wir gerade erlebten.<br />

Alles, was ich las, schien mir von verblüffender, fantastischer Aktualität. Ich wäre<br />

mit einer mediokren Auffassung der Evangelien geblieben, hätte die Erfahrung<br />

der Gefangenschaft mir nicht die wahre Bedeutung ihrer Botschaft offenbart.<br />

Diese ist nicht eine der Resignation und der Aufgabe (wie es nicht nur für mich<br />

im Falle einer Lektüre innerhalb eines banalen und bequemen Lebens hätte<br />

scheinen können), sondern eine des Kampfes und des Wagemuts, wenn man<br />

die Botschaft der Evangelien unter den dramatischen Umständen einer<br />

Konf<strong>ro</strong>ntation auf Leben und Tod mit jenen erhält, die nicht nur deinen Leib,<br />

sondern auch deine Seele in Satans Netz ziehen möchten. „Was hülfe es dem<br />

Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an<br />

seiner Seele? Oder was kann der Mensch geben, damit er seine Seele wieder<br />

löse?“, siehe die Antwort des Evangeliums auf alle Schliche der „Macht“, uns in<br />

ihre Fänge zu kriegen.<br />

„Seid guten Mutes! Ich habe die Welt überwunden!“ war desgleichen die<br />

Losung unseres „Widerstands“ und trug durch die Kraft ihrer Evangelienbotschaft<br />

zu unserer Befreiung von der Furcht und den Ängsten, die unser Simulacrum von<br />

Leben beherrschten, und ermöglichte es uns – freilich spät und nach vielen<br />

Opfern –, der „Macht“ die Respektierung unser menschlichen Würde<br />

abzuzwingen. Für uns, die wenigen, die wir zu einer dynamischen und<br />

kampfbereiten Auffassung des Christentums gelangt waren, wurde es zu einem

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