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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 234<br />

Stadtburg einem viel größeren entsprach, der seinerseits eine Subversion von<br />

Weltrang darstellte.<br />

Daher rührte auch unser spitzbübisches Auftreten als<br />

Jahrmarktsscharlatane voller Pathos.<br />

Indem ich die Bürger der Stadt auf den Marktplatz zur Verwirklichung des<br />

grandiosen „Werkes“ aufrief, fühlte ich mich wie Lenin auf dem Roten Platz, der<br />

das Volk zur Errichtung der neuen sozialistischen Gesellschaftsordnung ruft.<br />

Nun aber, da ich die Treppen zum Klub hinaufstieg, tat mir jedes<br />

Dekorstück wie ein Stück von mir weh, denn ein jedes war ein Bruchstück aus<br />

einem auseinander fallenden Traum. Als ich auf die Bühne gelangte, fand ich<br />

dort den kleinwüchsigen, braven und schweigsamen Hauptmann Petre Dinescu,<br />

den Schneider, vor allem aber den geschmackvollen und phantasiereichen<br />

Schöpfer all unserer Rokokokostüme, die er nun auftrennte, um den Besitzern<br />

ihre Pullover, Unterhemden, eng anliegenden Flanellhosen und Pyjamas<br />

zurückzugeben, mit denen er seine meisterlichen Kleidungskreationen<br />

geschaffen hatte. Am Boden lagen bunte Tuch- oder Stofffetzen, zum Teil<br />

gestreifte, welche die Pluderteile an Hosen oder Ärmeln abgegeben hatten. Auf<br />

dem Bühnenpodium präsentierte sich das umstrittene Grün (das<br />

„Legionärsgrün“!!!) von Grettis Kleid neben dem Lila jenes von Eulalia, dem<br />

Doktorenschwarz von Johannes’ Robe und dem Scharlach<strong>ro</strong>t von Don Giacomos<br />

Tunika. Daneben lagen der breitkrempige federbestückte Hut Don Alfonsos,<br />

Hipolits Degen und Eulalias Fächer. Alles lag durcheinander vor mir, Überreste<br />

eines Zaubers, der sieben Abende lang angehalten hatte. Der Basar war kaputt,<br />

der Zauber verflogen, und die Illusionen hatten sich ins Unsichtbare<br />

zurückgezogen und dem Antlitz der Alltagsrealität Platz gemacht. „Schade, dass<br />

es aus ist!“, dachte ich bei mir, genau wie meine Personen im Epilog.<br />

„Schade, dass es aus ist!“, brach der Kostüm-Hauptmann das Schweigen,<br />

als hätte er meine Gedanken gelesen. „Und dass es so hässlich ausgegangen<br />

ist. Da hast du mit Leib und Seele alles darangesetzt, um den<br />

Schicksalsgenossen einen Augenblick der Freude zu bieten, und welches war<br />

die Belohnung dafür? Du kannst dich letztlich glücklich schätzen, dass sie dich<br />

nicht gelyncht haben, weil du ihnen die Repatriierung «komp<strong>ro</strong>mittiert» hast.<br />

Zahlt es sich denn überhaupt aus, sich die Seele aus dem Leib zu kratzen, um<br />

solch ein Publikum zu unterhalten?“<br />

„Ja!“, antwortete in meinem Namen hinter mir Petric\ Ilie, der gleich einem<br />

Heinzelmännchen aus den Kulissen auftauchte. „Es zahlt sich aus, denn durch<br />

sein Stück haben wir unseren elenden Lebensbedingungen eine glanzvolle<br />

Replik erteilt. Und was immer man auch sagen wird, eines wird man nie<br />

verheimlichen können: dass wir an diesen sieben Abenden alle ein «Gnaden!-<br />

Moment erlebt haben, von dem ein jeder von uns, von dem alle, die Guten und<br />

die Bösen, die Würdigen und die Nichtswürdigen gekostet haben… Für diesen<br />

Augenblick der Graphie zahlt es sich aus… Der Rest zählt nicht mehr.“<br />

Die Echos des Basars verstummten jedoch nicht sofort mit seiner<br />

Suspendierung. Im Gegenteil, gewisse Pointen, bestimmte Couplets mit Witz<br />

blieben weiterhin ungehindert im Umlauf, wobei sie mitunter neue und<br />

unerwartete Valenzen hinzugewannen, an die nicht einmal ich gedacht hatte. Am<br />

öftesten zitiert wurde folgender Spruch: „Die moralischen Garantien / Sind keinen

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