04.09.2013 Aufrufe

radu m|rculescu - Memoria.ro

radu m|rculescu - Memoria.ro

radu m|rculescu - Memoria.ro

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 149<br />

37. „GESETZ“ UND „BEFEHL“ IM SOWJETISCHEN DENKEN<br />

Der Winter rang sich schwer zu dem Entschluss durch, uns zu verlassen.<br />

Wir hatten bereits April, und obwohl unter jenem Breitengrad (56º) der Tag viel<br />

länger war als in unseren Breitengraden (44º-48º), war die Schneedecke noch<br />

intakt, und die Kälte schien von den peitschenden Winden noch schärfer<br />

geworden zu sein. Die Lagerverwaltung jedoch dekretierte, dass der Winter –<br />

kalendermäßig – am 1. April zu Ende geht, weswegen sie die Entfernung alle<br />

Öfen aus den Schlafsälen und die Übergabe aller Pelze und Fellfütterungen<br />

befahl. Gegen die erste Maßnahme konnten wir nichts tun, aber der zweiten<br />

widersetzten wir uns mit der Verbissenheit von Waldtieren, denen ein paar<br />

Schurken versuchten, das Fell lebendigen Leibes über die Ohren zu ziehen. Es<br />

kam zu tragisch-komischen Szenen mit Tschassowojs und Gefangenen, die<br />

jeweils an einem Ende des Pelzes zerrten. Letztendlich siegten die brutale Kraft<br />

und die stupide Bü<strong>ro</strong>kratie. Ich aber und noch ein paar Jungs, wir hatten<br />

rechtzeitig von der Aktion erfahren und versteckten unsere Pelze in dem<br />

unheimlichen Warenhaus, in dem die Leichen aufbewahrt worden waren und wo<br />

sie die Vorstellungskraft der Tschassowojs nicht mal erahnte. Wir holten sie<br />

hervor, sowie das St<strong>ro</strong>hfeuer vorbei war, und scheuten uns nicht, sie danach<br />

sogar vor den Augen der Behörden zu tragen, wussten wir doch, dass es die<br />

Sowjets nach der Durchführung einer Maßnahme, nach der Erfüllung einer<br />

Formalität nicht mehr kümmerte, ob diese tatsächlich auch weiterhin respektiert<br />

wurde. Die Form musste stimmen! Ansonsten hatte ein jeder zurechtzukommen,<br />

so gut er nur konnte! Für jene aber, denen es nicht gelungen war, ihren Pelz zu<br />

retten, sollte dieser f<strong>ro</strong>stige und dazu windige April eine Kalamität sein. Es wurde<br />

fast noch mehr als mitten im Winter vor Kälte gezittert – vor allem bei den fast<br />

endlos mutenden Zählungen.<br />

Wo wir schon bei Durchsuchungen sind, möchte ich zu diesem Thema, darüber<br />

tausende von Seiten gefüllt werden könnten, noch ein paar Worte sagen. Die<br />

Durchsuchungen, soweit sie nicht konkrete Personen zum Ziel hatten, welche bis<br />

auf die Haut entkleidet und in Mund und Anus kont<strong>ro</strong>lliert wurden, also die<br />

gewöhnlichen, die Routinedurchsuchungen, die einmal im Monat vorgenommen<br />

wurden, waren zweierlei Art: die eine sah es auf scharfe, spitze Gegenstände,<br />

auf Messer, Taschenmesser, Rasierklingen usw. ab; die andere auf<br />

Schriftstücke, Hefte, Aufzeichnungen, sei es auch auf Birkenrindenblatt, sowie<br />

auf Bücher, ausgenommen jene aus der Lagerbibliothek. Aber keine der beiden<br />

Durchsuchungen hatte etwas mit der jeweilig anderen zu tun. Wenn also nach<br />

Schriftstücken gesucht wurde, konnte man ruhig Schlachtmesser im Tisch<br />

stecken haben, denn die Tschassowojs bemühten sich gar nicht erst, diese zu<br />

bemerken; und wenn nach scharfen Gegenständen gesucht wurde, konnte man<br />

eine ganze Bibliothek auf dem Tisch haben, sie kümmerte niemanden. Befehl<br />

war Befehl. Und wenn er auf scharfe Gegenstände abzielte, warum hätten da<br />

Schriftstücke beachtet werden sollen? Für den Papierkram gab’s ja einen<br />

anderen Befehl, eine andere Durchsuchung!

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!