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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 254<br />

wurde zurück ins Lager gebracht, und die Hidra setzte ihr Erscheinen mit all ihrer<br />

entlarvenden Kraft ungestört fort – zum g<strong>ro</strong>ßen Ärger der Zielscheibenmänner.<br />

Das M=n\st=rka-Lager jener Jahre wurde der Ort einer jedes Lob<br />

verdienenden kulturellen Efferveszenz, und t<strong>ro</strong>tz der erschöpfenden und zugleich<br />

demütigenden Arbeit (aus dem Wald schleppten wir auf dem Rücken<br />

Baumstämme, und im Winter zogen wir vor Schlitten gespannt viele Kubikmeter<br />

der abgeholzten Taiga hinter uns her) bewahrten wir Rumänen unsere seelische<br />

Bereitwilligkeit, alles Mögliche zu erlernen – Fremdsprachen, natur- oder<br />

geisteswissenschaftliche Disziplinen – oder zu tun, um es der Zeit ja nicht zu<br />

erlauben, uns unter ihrem Schlamm zu begraben. Man lernte frenetisch Englisch,<br />

Französisch, Deutsch, Italienisch, Spanisch, ja sogar Russisch. Man stellte<br />

Wörterbücher zusammen, erst aus Birkenrindblättchen oder Kartons von<br />

Zigarettenschachteln und später, dank eines wohl organisierten Tauschs mit<br />

Schulkindern, in Heften, die wir gegen Zigaretten oder Rubel bekamen. Zu einem<br />

bestimmten Zeitpunkt war es Mode geworden, auf fein gehobelte Schindeln zu<br />

schreiben.<br />

Eine Quelle intellektueller Belebung bildeten die Bücher, die von den<br />

Gefangenen verschiedener Nationalitäten mitgebracht wurden, welche aus<br />

anderen Lagern zu uns versetzt wurden, Bücher, die größtenteils in deutscher<br />

Sprache waren. Unter uns befand sich auch ein Berufsantiquar, Arizan, der<br />

armenischer Herkunft war und aus einer Antiquarsfamilie stammte und der mit<br />

voller Leidenschaft auch hier seinem Beruf nachging – zum Nutzen aller. Er<br />

verfügte über eine nennenswerte Anzahl von Büchern, die ihm oder anderen<br />

gehörten, aber von ihm verwaltet und ins gesamte Lager ausgeliehen wurden. Er<br />

betrieb diesen ermüdenden Verleih von Büchern, die fristgemäß von einem zum<br />

anderen wanderten, völlig uneigennützig, aus purer Liebe zum Buch. Und diese<br />

Leidenschaft konnte man in seinem Gesicht aufleuchten sehen, wenn er plötzlich<br />

auf ein wertvolleres Exemplar stieß. Mit wie viel Zärtlichkeit er dieses in die Hand<br />

nahm, mit welcher Andacht er darin blättern konnte! Sowie ein<br />

Gefangenentransport ankam, eilte er an den Quarantänezaun und fragte die<br />

Neuangekommenen nach Büchern, um sofort auch die Kauf-, Ausleih- oder<br />

Tauschverhandlungen zu starten, wenn er fündig wurde.<br />

Falls ein bestimmtes Buch als äußerst interessant galt, wurde es im<br />

Handumdrehen übersetzt. Denn R\ducanu hatte neben seinen anderen<br />

didaktischen oder kulturanimatorischen Missionen auch die<br />

Übersetzungsaufgabe übernommen. Dabei ging er wie folgt vor: er nahm das<br />

Buch regelrecht auseinander und vergab je ein Fragment an alle Übersetzer aus<br />

seinem Freundes- und Schülerkreis; danach gab er das Buch einem<br />

Amateurbuchbinder, der daraus ein so gut wie neues Exemplar machte; dann<br />

wurde die vielhändige Übersetzung in Umlauf gebracht. Von den im R\ducanu<br />

Verlag herausgebrachten Büchern erinnere ich mich an eines, das sich größerer<br />

Popularität erfreut hatte (ohne auch ästhetisch wertvoll zu sein): Und ewig singen

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