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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 275<br />

Wir sagten ihm dazu noch, dass er stets in unseren Herzen und Gebeten<br />

Platz finden werde, dann ließen wir ihn allein mit dem Schicksal.<br />

Beim Morgenappell des 1. Februars überreichte er seinen P<strong>ro</strong>test, erklärte, dass<br />

er in den Hungerstreik trete, und zu Mittag wurde er hopsgenommen und in die<br />

Alba gesteckt. Unglücklicherweise hatten wir Rumänen jetzt, da wir in der<br />

Minderheit waren, keinerlei Möglichkeit mehr, den Karzer zu kont<strong>ro</strong>llieren, vor<br />

allem, nachdem Alecu Cosma, le gentilhomme cambrioleur, vor Gericht gebracht<br />

wurde, er, für den kein Türschloss des Lagers ein P<strong>ro</strong>blem war. Was ich nun<br />

erzähle, erfuhr ich später.<br />

Das erste, was Ciutea tat, als er in die Zelle gebracht wurde, deren<br />

Fensterscheiben eingeschlagen waren, und das bei minus 10 Grad Celsius, war,<br />

alle Kleider auszuziehen und in den Kübel mit Urin und Kot zu werfen, und zur<br />

Verblüffung des Tschassowojs, der ihm ein Kännchen mit – absichtlich kaltem –<br />

Tee brachte, goss er sich den Inhalt auf den Kopf, so dass dieser im Nu einen<br />

Eishelm bekam und auch im Gesicht und am Leib gef<strong>ro</strong>r.<br />

„Wenn ihr mich ermorden wollt, indem ihr mich in diesen Gefrierschrank<br />

steckt“, sagte er dem Tschassowoj, „habt ihr all meine Beihilfe, damit meine Qual<br />

nicht lange dauert. Wisst aber, ihr werdet euch dafür verantworten müssen!“ Und<br />

so verbrachte Ciutea splitternackt bei minus 10 Grad und mit eingeschlagenen<br />

Fensterscheiben zehn Tage im Hungerstreik. Am sechsten Tag gingen sie dazu<br />

über, ihn künstlich zu ernähren, dem erbitterten, ja verzweifelten Widerstand des<br />

Opfers zum T<strong>ro</strong>tz, das alle Nahrung, die man ihm mit einem Schlauch in den<br />

Hals goss, auf die Kittel des Arztes und der Sanitäter spuckte.<br />

Zugleich steckten sie Unterleutnant Tiberiu S=rbescu genannt G=g\ in<br />

seine Zelle, einer unserer Jungs, auf die Verlass war, mit dem wir später dann<br />

den gesamten Ablauf dieses auße<strong>ro</strong>rdentlichen Abenteuers rekonstruiert haben.<br />

Diesem gelang es, Ciutea dazu zu überreden, eine seiner abgetragenen<br />

Wattejacken zu tragen. All die Zeit über schlief Ciutea keine Sekunde, bedeutete<br />

der Schlaf doch Tod durch Erfrieren. Ständig ging er auf und ab, rieb sich ab,<br />

machte Kniebeugen und sprach. Sprach ununterb<strong>ro</strong>chen. So verbrachte er all<br />

diese Tage und Nächte, ohne ein Auge zu schließen, ohne still zu stehen.<br />

Am Abend des zehnten Tages, als sie wieder kamen, um ihn künstlich zu<br />

ernähren – diese Operation wurde nur nach dem Zapfenstreich und völlig im<br />

Geheimen vorgenommen, hatte Ciutea in seinem Kampf mit den Sanitätern ein<br />

Schwächemoment und gab ganz nach in ihren Armen. Ersch<strong>ro</strong>cken hoben diese<br />

ihn auf eine Tragbahre, versteckten ihn gut unter einem Haufen von Decken,<br />

damit keiner merke, was mit ihm los war, und eilten mit ihm ins Spital. Unterwegs<br />

kam der Tote wieder zu sich, sprang wie eine stählerne Feder von der Bahre und<br />

rannte unter den verblüfften Blicken der Sanitäter Richtung Schlafsaal der<br />

rumänischen Offiziere (Gebäude 2, unter dem Klub). Hier hatte man sich,<br />

obschon es bereits nach dem Abendsignal war, noch nicht entschlossen,<br />

schlafen zu gehen, war man doch gefangen von den lustigen Erinnerungen eines<br />

ausgezeichneten Erzählers, nämlich Rechtsanwalt Iliescus, von dem ich bereits<br />

sprach. Aus anderen Baracken waren noch ein paar Österreicher anwesend, die<br />

gekommen waren, um sich von ihren rumänischen Kollegen zu verabschieden,<br />

denn es bestand die Aussicht auf die Heimkehr eines österreichischen Trupps.<br />

Auch ich zögerte, in meinen Eiskasten in Gebäude 7 zurückzukehren.

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