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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 176<br />

diese Bedingungen respektierst, wirst du nur Vorteile haben. Im Land erwartet<br />

dich eine glänzende akademische Karriere und dir werden sich Perspektiven<br />

eröffnen, von denen du niemals auch nur geträumt hast. Also, was meinst du,<br />

schließen wir das Geschäft?“<br />

„Nein, Herr M=]\, wir schließen keinerlei Geschäft. Ich danke für Ihre<br />

Ehrlichkeit und werde Ihnen – wenn ich Sie damit nicht störe – mit der gleichen<br />

Ehrlichkeit antworten.“<br />

„Du kannst alles sagen, was du denkst, es stört mich nicht“, antwortete er<br />

g<strong>ro</strong>ßzügig.<br />

„Alles, was Sie mir angeboten haben, deckt nicht den Verlust, den ich<br />

erleiden würde, akzeptierte ich Ihren Geschäftsvorschlag. Was hülfe es dem<br />

Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an<br />

seiner Seele? Heißt es denn nicht so im Evangelium? Denn die Seele ist das,<br />

was ich bei diesem Geschäft verliere. Sie wird in Scherben gehen unter dem<br />

Schock der Gegensätze zwischen dem, was sie glaubt, dass es recht ist zu tun,<br />

und dem, was sie genötigt sein würde zu tun, wenn ich mich an Sie verkaufen<br />

sollte. Ich wäre dann gezwungen, bis an mein Lebensende die Leiche einer toten<br />

Seele in mir zu tragen.“<br />

„Schau, genau dies ist es, was euch, die Intelligenzija, kaputt macht, ihr<br />

müsst die Dinge stets komplizieren“, nahm er das das Gespräch irgendwie<br />

missgestimmt wieder auf. (Wahrscheinlich fühlte sich der einst junge<br />

Unterzeichner der Vereinigung, den der kommunistische P<strong>ro</strong>pagandist von heute<br />

verschluckt hatte, von meiner Metapher der Träger toter Seelen angesp<strong>ro</strong>chen.)<br />

„Die Seele? Was ist denn die Seele? Ein Epiphänomen. Gibt sie dir denn was zu<br />

essen?... Löscht sie deinen Durst und stillt sie deinen Hunger? Wird die Seele<br />

einen Platz für dich finden in der Welt von morgen, für die du heute keinen Finger<br />

rühren möchtest? Meinst du aber die Gegensätze zwischen deinen überholten<br />

Moralauffassungen und den Aktionen, welche dir die neuen Zeiten abverlangen,<br />

der Marxismus-Leninismus hat auch dafür ein Heilmittel. Studiere ihn nur<br />

aufmerksam, vor allem die Dialektik, dann wirst du dir eine neue und gesunde<br />

Lebensauffassung aneignen, und die Aktionen, welche dir vorher unmoralisch<br />

und verwerflich schienen, werden dir im neuen Lichte als perfekt gerechtfertigt<br />

erscheinen.“<br />

„Danke für den Rat. Aber dies würde bedeuten, aus meiner Haut zu<br />

kriechen und einem anderen darin Platz zu machen. Was für einen Nutzen hätte<br />

ich denn davon?“<br />

„Wie ich sehe, schlägst du jede ausgestreckte Hand aus. Schade. In<br />

unseren Zeiten stehst du nicht gut da mit solchen Auffassungen. Mein Vorschlag<br />

aber bleibt offen. Überleg’s dir noch!“<br />

„Da ist nichts mehr zu überlegen. Ich habe wieder und wieder<br />

nachgedacht über ihren Vorschlag, und dies seit langem schon, seit sehr langer<br />

Zeit… schon bevor ich überhaupt geboren wurde.“ (M=]\ sperrte den Mund auf,<br />

machte g<strong>ro</strong>ße Augen, und seine Brillen rutschten wieder bis zur Warze auf seiner<br />

Nasenspitze. „Nach dem Verrückten von heute Morgen, der nur gelacht und<br />

gelacht hat… nun dieser da, der wirres Zeug daherredet. Das gibt’s doch gar<br />

nicht. Zwei Irre am ein und demselben Tag! Das ist zuviel für mich!“, mag sich<br />

M=]\ konsterniert gedacht haben.)

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