04.09.2013 Aufrufe

radu m|rculescu - Memoria.ro

radu m|rculescu - Memoria.ro

radu m|rculescu - Memoria.ro

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 358<br />

95. Eine „internationale“ Schachpartie<br />

Das Schachspiel war in der Gefangenschaft eine Beschäftigung, die stark<br />

herhalten musste für den Zeitvertreib. In Ustschoara hingegen kam es zu einer<br />

die gewöhnlichen Grenzen sprengenden Schachmanie. Es war nicht schwer, den<br />

Grund herauszufinden: die Anwesenheit unter den Ungarn eines nationalen<br />

Schachmeisters. Sein Name ist mir entfallen, ich weiß bloß, dass er eine g<strong>ro</strong>ße<br />

Schachpersönlichkeit war. Dies ist unwiderlegbar. Da ihm eine leichtere Arbeit<br />

innerhalb des Lagers zugeteilt worden war, verfügte er über hinreichend Zeit, die<br />

er sei es mit Schachpartien, sei es mit Lektionen füllte, ja, er bot sogar<br />

Simultanspiele an, die er allesamt gewann. Auch in unseren Reihen befanden<br />

sich ein paar recht gute Schachspieler, die in den Partien gegen die Ungarn<br />

ehrenhaft abschnitten. Aber keiner von uns hatte es gewagt, auf dem Stuhl vor<br />

dem Meister Platz zu nehmen.<br />

Unter diesen Umständen erhielten wir von der ungarischen Gruppe die<br />

Einladung, an einem internationalen Schachturnier auf Lagerebene<br />

teilzunehmen. Die Deutschen und die Österreicher nahmen die auch an sie<br />

gerichtete Einladung nicht an, wohl eingeschüchtert von der Präsenz eines<br />

Meisters. Wir jedoch nahmen die Herausforderung an, nachdem wir nach langen<br />

Beratungen zu dem Schluss kamen, dass wir letztendlich nichts zu verlieren<br />

hatten. Der Wettbewerb bestand aus fünf einfachen Partien, ohne<br />

Revanchematches, und die Ungarn präsentierten uns eine Liste von fünf<br />

Spielern (mit dem Meister an deren Spitze). Wir sollten nun jedem einen eigenen<br />

beiordnen. Die Frage war: Wer sollte mit dem Meister spielen?<br />

„Organisieren wir doch erst einen Wettbewerb untereinander“, schlug<br />

Victor Clonaru vor, „um die fünf Teilnehmer zu bestimmen. Der beste von diesen<br />

wird gegen Meister spielen.“ „Falsch“, griff ich da ins Gespräch ein. „Egal, wer<br />

gegen den Meister spielt, er wird verlieren. Das ist schon mal sicher. Warum<br />

sollen wir denn den Besten von uns opfern, anstatt ihn uns einen Punkt holen zu<br />

lassen, indem er gegen einen der anderen spielt?“<br />

„Gut, und wer spielt dann gegen den Meister?“<br />

„Der Schwächste von uns. Wenn der Gegenspieler des Meisters<br />

aufgeopfert wird, warum sollte dies nicht der Schwächste sein?“<br />

„Da hast du Recht, Nae!“, erwiderten die Jungs lachend, und wir gingen<br />

daran, den Auswahlwettbewerb durchzuführen. Von den 10, 12 Männern, die wir<br />

Schach spielten, wurden in zwei Runden folgende fünf Spieler ausgewählt: an<br />

erster Stelle, Victor Clonaru, an zweiter, Stelic\ Petrescu, genannt Pastrama, an<br />

dritter, einer, dessen Namen mir entfallen ist, ich folgte als vierter und als letzter<br />

sollte Titu Preotu, ein junger Unterleutnant und Benjamin des Teams,<br />

teilnehmen. Diesen nun setzten wir dem ungarischen Meister gegenüber.<br />

Alle Spiele fanden nach dem Abendessen in der Baracke der Ungarn statt.<br />

Titu nahm sein Schicksal als Opfer an und setzte sich an den Tisch des Meisters<br />

mit der Resignation der von Agamemnon auf den Altar der Aph<strong>ro</strong>dite von Aulis<br />

gehobenen Iphigenie. Um die Qual nicht lange aushalten zu müssen, opferte er

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!