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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 501<br />

der gesamte Repressionsapparat, eine moderne Menschenhackfleischmaschine,<br />

unfehlbarer denn je und mit höchster Wirksamkeit. Am laufenden Band wurden<br />

Verhaftungen getätigt, die Tribunale arbeiteten ohne Unterbrechung und füllten<br />

die Gefängnisse, und wer drin keinen Platz mehr fand, den verschlangen die<br />

Friedhöfe. Alles begann auch bei uns damit zu ähneln, was es hier, in Russland,<br />

zur Zeit der Revolutionsjahre, gegeben hatte. Die gleichen Sitzungen, die<br />

gleichen Losungen, das gleiche Elend, der gleiche Ter<strong>ro</strong>r, die gleichen<br />

Vorgangsweisen, die gleichen Szenarien, bloß zwanzig, dreißig Jahre später. Wir<br />

– die gefangenen rumänischen Offiziere – waren nun, in den 1950er Jahren, die<br />

Entsprechung der weißen Offiziere aus dem Bürgerkrieg der 1920er Jahre.<br />

Unser Schicksal war im g<strong>ro</strong>ßen Drehbuch der Revolution von 1917<br />

vorweggenommen worden und sollte zur Erfüllung gebracht werden vom<br />

unerbittlichen marxistisch-leninistischen Determinismus, der uns, noch bevor wir<br />

zur Welt kamen, en bloc und definitiv verdammt hatte.<br />

So dass wir uns nun mit gutem Recht fragten: Warum auch sollte die<br />

Macht jetzt noch Angst davor haben, uns zu repatriieren? Oder, anders gesagt,<br />

wo wäre es zu jenem Zeitpunkt für uns denn schlechter gewesen als im eigenen<br />

Land?<br />

Deswegen also gelangten wir, die wir nun mit dem Gepäck unter unseren<br />

Köpfen und mit unseren Mänteln zugedeckt auf den Pritschen lagen und wie<br />

immer die schlimmste Variante als die wahrscheinlichste betrachteten, zu der<br />

Schlussfolgerung, dass das Ziel unserer Reise kein anderes sein konnte als<br />

unser eigenes Vaterland.<br />

Der Zufall wollte es, dass mein Platz auf der oberen Pritsche unter einem<br />

der vergitterten Fensterchen lag. So dass ich, nachdem der Leiter der<br />

Wachmannschaft die vier Riegel mit dem unverwechselbaren Getöse<br />

zugeworfen hatte, mich auf die Knie erhob und durch das Gitter nach draußen<br />

blickte. Genau dann hielt vier Gleise weiter eine Pendlergarnitur. Aus ihr stiegen<br />

ohne Eile eine Menge Eisenbahner, Kranführer, Schlosser, Schaffner,<br />

Weichensteller, allesamt in ihren abgetragenen Uniformen und in Filzstiefeln.<br />

Desgleichen stiegen aus dem Zug mehrere in Wattejacken eingemummte<br />

Frauen mit Tragetaschen. All dies verd<strong>ro</strong>ssene, müde, schlecht gekleidete<br />

Arbeitsvolk, die Männer mit unrasierten und vom Rauch der Loks geschwärzten<br />

Gesichtern, bahnte sich einen Weg über die Schienen hinweg, auf uns zu. Der<br />

sie auf ihrem üblichen Weg zum Ausgang hin auch an unserer Zuggarnitur<br />

vorbeiführte. Vor dieser aber stand aufgereiht die gesamte Wachmannschaft, an<br />

der Spitze mit einem Offizier, der eine blaue Schirmmütze trug. Es waren hier<br />

alle Gesichter, die wir auf den Wachtürmen der Lager hatten sehen können,<br />

versammelt, kräftige, wohlgenährte und selbstgefällige Burschen mit ihren MP-<br />

Balalaikas am Hals. Es fehlten auch nicht die berühmten, grimmig-g<strong>ro</strong>ßen<br />

Schäferhunde, deren Bellen sogar unsere Träume bevölkerte, wenn nachts mit<br />

ihnen rings ums Lager pat<strong>ro</strong>uilliert wurde. Die blaue Offiziersmütze erteilte der<br />

sich nähernden Menge den kurzen und energischen Befehl, der vom rauen<br />

Bellen der Hunde unterstrichen wurde, stehen zu bleiben, und verwirrt, mit<br />

fragenden Blicken, hielt die Menge vor der Eisenbahnlinie an. Eine weitere<br />

genauso knappe und imperative Geste wies die zu befolgende Richtung an,

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