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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 43<br />

Ich hatte keine Ahnung, wohin dieser Weg führte, der sich die Sohle eines<br />

Tälchens entlang schlängelte, aber es war der einzig mögliche unter diesen<br />

Umständen. Wir machten uns im Galopp auf den Weg durch das enge Tal.<br />

Klezkaja konnte ohnehin nur in dieser Richtung sein.<br />

An einer Wegkreuzung ließ ich anhalten, um die Landkarte zu studieren.<br />

Ich identifizierte das Tälchen und stellte fest, dass es nach Klezkaja führte. Wir<br />

befanden uns auf dem richtigen Weg. Noch eine letzte Anstrengung, und wir<br />

waren gerettet.<br />

Aber wie wir da so im Trab vorwärts kamen, wurde das Tal breiter und<br />

breiter, und von seinen hohen Rändern, die sich mehr und mehr entfernten,<br />

strömten Wildbächen gleich von links und von rechts Reihen von Soldaten, zu<br />

Fuß, auf Pferdewagen oder zu Pferd. Die Bäche wurden zu Flüssen, dann zu<br />

Strömen und füllten schließlich den ganzen Talkessel mit einem Meer von<br />

Menschen, ein fluchendes, schubsendes Gedränge, alle mit dem gleichen Ziel,<br />

auf den gleichen Rettungsring Klezkaja zustrebend, der einzige Ort, über den<br />

man noch aus der Einkesselung entkommen konnte, über die Donbrücke. Diese<br />

unförmige, ungeordnete Masse von Menschen, die sich gegenseitig auf die Füße<br />

traten, um so schnell wie nur irgend möglich an ein rettendes Ufer zu gelangen,<br />

stellte die kläglichen Überreste dessen dar, was einst unsere Armee gewesen<br />

war. Eingeklemmt wie in einem Schraubstock von den Polypen dieses<br />

Kollektivmonsters, kam unsere Batterie, bzw. was davon übrig geblieben war,<br />

schwer voran, verlor ihren Zusammenhalt und löste sich im restlichen Haufen<br />

auf. So kam es, dass ich von einem guten Teil unserer Leute und von Furtun\<br />

getrennt wurde, dem ich dann erst im Lager wieder begegnen sollte.<br />

In dieser Masse befanden sich nicht nur Soldaten, sondern auch<br />

Zivilbürger. Die Konvulsionen dieser Menge brachten zu einem gewissen<br />

Zeitpunkt eine Gruppe von Zivilbürgern neben uns, angeführt von einem älteren<br />

Mann, der auf einem Esel ritt. Einer unserer T.R.-Leute, Kaporal Cre]u, der<br />

seines Zeichens aus Bessarabien stammte und Russisch beherrschte, fragte sie,<br />

wer sie seien. Es waren bedauernswerte Leute, die von den Deutschen oder von<br />

uns – mehr oder weniger gezwungenermaßen – als Bürgermeister in den<br />

Dörfern hinter der F<strong>ro</strong>nt eingesetzt worden waren. Das Beil des Begriffs<br />

Kollaborateur über ihren Häuptern hatte sie dazu veranlasst, eiligst ihre Heime<br />

aus Angst vor den Befreiern zu verlassen, die für jeden von ihnen eine Kugel ins<br />

Genick parat hielten. Nie habe ich solch schreckenstarre Gesichter wie die ihren<br />

gesehen. Die Verzweiflung hatte sie mit Apathie und Resignation gefüllt. Sie<br />

kämpften nicht mehr um ihren Platz oder um vorwärts zu kommen, und wurden<br />

bald darauf von der Masse geschluckt.<br />

Die gleichen vom Tode gestempelten Gesichter hatte auch ein SS-Zug,<br />

der in engen Reihen und in perfekter Ordnung sich an uns vorbei zwang.<br />

Jung und schön, blond und blauäugig, aufgewachsen im Gefühl der<br />

absoluten Überlegenheit einer Rasse, der alles zusteht, trugen sie in ihren<br />

eingesunkenen Gesichtern etwas von der Tragik gefallener Engel.<br />

Wie wir da so vorankamen, verwandelte sich das Tal in einen immensen<br />

Kesselboden, dessen Wände sich rechts und links stetig entfernten, um sich<br />

einander dann vor uns– irgendwo, weit weg – wieder zu nähern. Von diesen<br />

Kämmen aber strömten nicht mehr Bäche von Soldaten herunter, sondern drauf

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