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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 109<br />

25. EINE ETWAS SELTSAME BEFRAGUNG<br />

In den nächsten Tagen fand in unserem Schlafsaal eine Art Aufnahme<br />

unsere persönlichen Daten statt. Ein Bouquet von Beamtinnen, junge, hübsche<br />

Dinger, setzte sich an den Tisch, jeweils mit einem Stapel Formulare vor sich,<br />

und wir hatten uns vor ihnen aufzustellen, damit sie diese dann ausfüllten.<br />

Selbstverständlich hatte jedes Mädchen je einen Dolmetscher (Periwotschik)<br />

dabei, rekrutiert aus den Reihen derer mit weißen Kitteln, der Dienstleistenden.<br />

Bis ich dran war, lauschte ich auf die Fragen, die gestellt wurden. Außer den für<br />

einen solchen Fragebogen normalen (Name, Rang, Einheit, usw.) gab es noch<br />

recht seltsame Rubriken für Adresse, Name und Beschäftigung der Ehefrau, die<br />

Kinderzahl und deren Namen, die Besitztümer - vor allem nach dem Grundbesitz<br />

wurde gefragt, dazu nach Ausbildung und Fremdsprachenkenntnissen, was für<br />

Ämter man gehabt und welche man ausübte, was man denn für eine Politik<br />

gemacht habe etc.<br />

Ich überlegte, so viele Fragen wie nur irgend möglich bloß zum Teil zu<br />

beantworten. Vor allem hatte ich keine Lust, ein Stück Grund, das ich in Kreis<br />

D=mbovi]a 55 besaß, zu deklarieren, und ich tat’s auch nicht, wusste ich doch um<br />

die Aufmerksamkeit, derer sich die alten „Grundbesitzer“ des zaristischen<br />

Russlands im Folter- und Hinrichtungssystem der schrecklichen Tscheka 56<br />

erfreut hatten.<br />

Ich kam bei einer kessen Beamtin an die Reihe. Während sie meine<br />

Antworten aufschrieb, blieb mein Blick auf ihrem braunen Haar haften, dass von<br />

einem Mittelscheitel getrennt wurde; auf diesem Scheitel nun sah ich (grässlich!)<br />

lauter Nissen. Gleichzeitig bog mir ein aus ihrem Busen aufsteigender<br />

unzweifelhafter Geruch der Ungewaschenheit die Nase weg, der kontrapunktisch<br />

mit dem unverwechselbaren Geruch sowjetischen Parfums kollidierte, derselbe<br />

vom Dnjestr bis nach Wladiwostok. Der Schock muss so stark gewesen sein,<br />

dass ich zurückwich. Da hob das Mädchen das Zichorienblau ihrer Augen zu mir<br />

und fragte mich, ob ich denn schenat 57 sei.<br />

„O, nein! Ich bin keineswegs schenat. Warum sollte ich auch?“<br />

„Nein, Herr“, griff der Dolmetscher, der hinter ihr stand, ein. „Sie fragt Sie,<br />

ob Sie verheiratet sind. Schenat heißt auf Russisch verheiratet.“<br />

„Jaaa? Das wusste ich nicht“, stotterte ich verlegen. „Selbstverständlich,<br />

ich bin schenat. Also verheiratet.“ Am Mittag wurde eine Pause eingelegt. Alleine<br />

geblieben, warteten wir auf die Kübel mit Essen, die auch jetzt von der mit<br />

Knüppeln bewaffneten Garde gegen die potentiellen Angreifer geschützt wurden,<br />

und stellten allerlei Spekulationen zu diesen seltsamen Formularen mit<br />

55 In Südrumänien, nördlich von Bukarest gelegen.<br />

56 Kurzname der ersten bolschewistischen Geheimpolizei.<br />

57 Interlinguistisches Wortspiel zwischen dem russischen schenat (verheiratet) und dem rumänischen jenat<br />

(geniert).

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