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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 155<br />

Glaubwürdigkeit zu verleihen, einen Leinensack – Verpackung für Hirsesch<strong>ro</strong>t –<br />

aus seinem Busen zog, den die Fahne der Vereinigten Staaten zierte und auf<br />

dem die Herstellerfirma draufstand, alles von makellosem Design. Das<br />

Mittagessen aber bot Gelegenheit für noch größeres Erstaunen. Die „Vorspeise“<br />

war ein mit Kaviar aus Mandschurien belegtes Brötchen, g<strong>ro</strong>ßkörniger, <strong>ro</strong>torangefarbener<br />

Kaviar, der zu jener Zeit, als ein Unterleutnantssold 7000 Lei<br />

war, in Bukarest 500 Lei/kg kostete. Es ging mit gesottenem Rosalachs „fumé“<br />

weiter und endete mit einer riesigen amerikanischen Hähnchenkeule mit<br />

köstlichen Pommes frites. Zum Abendessen gab’s erneut Omelette und dazu<br />

einen Pott Milch. Sowohl die Omelette als auch die Milch waren aus<br />

Doseneipulver bzw. -milchpulver zubereitet worden, die St<strong>ro</strong>hkartoffeln aus<br />

get<strong>ro</strong>ckneten und mit feinem Öl imprägnierten Kartoffelchips. Alles war<br />

amerikanisch. Wahrlich, der helle Wahnsinn!<br />

Welches war nun die Wirkung dieser Leckerbissenlawine auf unsere<br />

Fähigkeit, die Zustände politisch zu beurteilen? Wie interpretierten wir denn<br />

dieses Ereignis? Auf die unrealistischste Weise. Ich möchte fast sagen: total<br />

abwegig. Nach heftigen, ja zum Teil exaltierten Diskussionen gelangten wir zu<br />

der Schlussfolgerung, dass der Krieg zu Ende war, dass ein allgemeiner<br />

Komp<strong>ro</strong>missfriedensschluss bevorstand, dass die Sowjetunion gezwungen sein<br />

werde, uns zu repatriieren. Und damit wir ihren Ruf nicht mit unseren<br />

gespensterhaften Erscheinungen, Ausdruck der miserablen Lebensbedingungen<br />

und der unmenschlichen Behandlung, zu Schanden machten, versuchte sie nun,<br />

uns in der verbliebenen Zeit aufzupäppeln vermittels des Lebensmittelreichtums,<br />

den sie von ihren Alliierten bekommen hatte.<br />

Um aber zu erklären, wie wir denn allesamt zu einer solch<br />

wirklichkeitsfernen Interpretierung kommen konnten, muss ich erst einmal<br />

betonen, dass ein, zwei Monate lang die Kriegskommuniqués der Presse<br />

(derjenigen, die uns zugänglich war – Iswestija und Cuv`ntul liber, das für uns<br />

herausgegebene Blättchen) sehr knapp und bedeutungslos waren. Anstatt aber<br />

darin den Ausdruck einer natürlichen Windstille nach einer so furchtbaren<br />

Kampagne, wie es die Don-Stalingrad-Kampagne war, zu sehen, hatten doch die<br />

beiden Kombattanten eine Verschnaufpause nötig, bevor sie zu neuen Aktionen<br />

übergingen, mutmaßten wir, hinter diesen lakonischen Kriegsberichten verberge<br />

sich schwere Niederlagen der Sowjetarmee und eine mögliche Wende im<br />

Kriegsverlauf. Ganz zu schweigen davon, dass wir die sowjetischen<br />

Kommuniqués gering schätzten, waren diese doch in unseren Augen entweder<br />

lügnerisch, oder übertrieben. Fehlten sie aber sogar oder waren t<strong>ro</strong>cken und<br />

bedeutungslos, wie sollten wir da nicht glauben, man habe Frieden geschlossen,<br />

angesichts der Tatsache, dass wir, die bis dahin Ausgehungerten, plötzlich von<br />

einer Leckerbissenlawine begraben wurden? Wir waren Opfer der eigenen<br />

Vorstellungskraft, die in unseren Wünschen Wirklichkeit sah, so dass wir an<br />

jenem Abend, völlig euphorisch, in eine Welt der Illusionen katapultiert wurden.<br />

Wir gingen müde von den Ereignissen des Tages und ihren Auswirkungen<br />

auf unsere Schicksale schlafen. Der Wald war inzwischen dichtbelaubt, und<br />

durch unsere mit Gitterstäben versehenen, aber geöffneten Fenster drangen die<br />

Düfte der Nacht ein und vermischten sich mit unseren Träumen. Wir waren

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