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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 184<br />

halb in von Gesten ergänzter gagausischer Sprache bat mich der Mann, bei<br />

seiner Frau zu bleiben, bis er die Hebamme hole.<br />

Ehrlich gesagt, mir war bange davor, alleine mit der in Geburtswehen<br />

liegenden Frau zu bleiben. Was, wenn sie starb? Gott behüte! Ich bot ihm an,<br />

selber die Hebamme zu holen, wenn er mir nur genau erklärte, wo diese wohnt.<br />

Die Angelegenheit war einfacher, als ich mir vorgestellt hatte, die Hebamme<br />

wohnte im ersten Haus am anderen Ende des Dorfes, also in der<br />

heruntergekommen Hütte, die ich sah, als ich das Bächlein überquerte.<br />

Ich ließ mein Bündel beim Gagausen und eilte los, um die Hebamme zu<br />

holen.<br />

Als ich bei ihrer Hütte ankam, klopfte ich wiederholt und kräftig an die Tür,<br />

wobei ich ihr zurief, so gut ich konnte, dass es sich um eine Geburt handelte.<br />

Keine Antwort. Verzweifelt und ahnungslos, was ich nun tun sollte, begann ich<br />

wie ein Neugeborenes zu quaken, woraufhin sich die Tür öffnete. Aus dem<br />

Dunkel löste sich etwas wie eine Hexe. Unter dem Kopftuch her hingen weiße<br />

Haarsträhnen über Augen und Gesicht. Die nackten Füße waren aufgequollen<br />

und glichen Baumstümpfen. Sie stützte sich auf zwei Stöcke, womit sie auf ihre<br />

Füße wies (als Antwort auf mein Drängen, mitzukommen). In meiner<br />

Verzweiflung, ohne die Hebamme zu der wartenden Frau zurückzukehren, bot<br />

ich mich mit allerlei Gesten an, sie huckepack zu tragen. Nach einer<br />

Überlegungspause, erklärte sich das alte Weib mit einem rabenähnlichen<br />

Krächzen bereit und ging noch mal ins Haus, um über ihre Fetzen noch etwas<br />

Wärmeres anzuziehen.<br />

Ich ging in die Hocke, die Alte stieg auf meinen Rücken und schlang ihre<br />

Arme um meinen Hals. Als ich mich aber mit ihr erhob, wobei ich mit beiden<br />

Händen ihren Hintern abstützte, brach eine Sturmböe los und eiskalter Regen<br />

schlug mir ins Gesicht, dass ich fast erblindete. Die alte Hebamme war schwer<br />

wie Blei. Ich schwitzte, konnte kaum noch atmen. Nach der Hälfte des Weges<br />

hielt ich auf dem mit seinen schwarzen Erd- und weißen Schneeflecken<br />

desgleichen einem Ziegenfell ähnlichen Dorfanger an, um Luft zu holen, und<br />

suchte mit regennassen Augen eine schwarze Stelle, um die Alte abzusetzen.<br />

Als ich diese fand, ließ ich sie leicht von meinem Rücken runterrutschen, wischte<br />

mir das Wasser aus Gesicht und Augen und erlaubte Herz und Lunge, zu<br />

verschnaufen.<br />

Als ich mich etwas erholt hatte, wandte ich mich um, um die Alte wieder<br />

huckepack zu nehmen. Aber von der Alten, keine Spur. Als ich runterblickte auf<br />

die t<strong>ro</strong>ckene Stelle, wo ich sie vorsichtig abgesetzt hatte… schnellten meine<br />

Haare zu Berge… Die t<strong>ro</strong>ckene Stelle zu meinen Füßen… war eine<br />

Brunnenöffnung.“<br />

„Herrje!“, rief erschauernd der jüngste der Zuhörer aus, „die Alte ist dir in<br />

den Brunnen gerutscht!“<br />

„Ja, Mann. Die Alte ist mir in den Brunnen gerutscht“, setzte Marcu seine<br />

Geschichte fort, „was soll ich euch noch sagen? Irre vor Schrecken nahm ich<br />

Reißaus. Kugelflink lief ich am Haus der Schwangeren vorbei und verschwand<br />

im Dunkel der öden Steppe.“<br />

„Und der Posten?“<br />

„Welcher Posten denn?“

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