04.09.2013 Aufrufe

radu m|rculescu - Memoria.ro

radu m|rculescu - Memoria.ro

radu m|rculescu - Memoria.ro

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 255<br />

die Wälder von Guldbrandsen 122 . Dann war da Das Lendentuch Christi von<br />

Douglas 123 und L’homme, cet inconnu von Alexis Carrel 124 .<br />

In dieser anregenden kulturellen Atmosphäre ging ich daran, auf gut<br />

gehobelte Schindeln einen Essay mit dem Titel Cele trei boli ale spiritului –<br />

spaima, iner]ia [i `nchipuirea (Die drei Krankheiten des Geistes – die Angst, die<br />

Trägheit und die Einbildung) niederzuschreiben. Was der Titel jedoch nicht<br />

aussagte, war aus dem Inhalt zu verstehen, nämlich, dass die Symptomatologie<br />

dieser Krankheiten im klinischen Raum einer geschlossenen Welt verfolgt wurde,<br />

im „Konzentrationslageruniversum“. Ihre Auswirkungen wurden als<br />

zusammengehend betrachtet, eine jede verschärfte die anderen und zog sie in<br />

einen Teufelskreis, aus dem es keinen Ausweg mehr zu geben scheint. Scheint,<br />

denn im Grunde genommen konnten diese Aggressoren des Geistes, da sie<br />

selber geistiger Natur waren, desgleichen durch geistige Aktionen bekämpft<br />

werden. In diesem Sinne erscheint als der einzig begehbare Weg die<br />

„Konzentrierung im Geiste“, die Suche in sich selbst am tiefstgelegenen Horizont<br />

des „Zentrums“, jenes ontologischen Zentrums (das wir sei es nun Gott oder<br />

sonst wie nennen), demgegenüber alle Ängste, Bed<strong>ro</strong>hungen, alle Gefahren,<br />

einschließlich jene des Todes, sich in ihrer Konf<strong>ro</strong>ntation mit diesem Zentrum<br />

letztendlich als pure, inkonsistente Einbildungen herausstellen, die vom<br />

Bildschirm unseres Geistes verschwinden, sowie wir aus unserem Innersten<br />

heraus unseren „Wagemut“ mobilisieren, sie als solche zu betrachten. Dieser<br />

„Wagemut“ muss jedoch erlernt werden und konsolidiert sich nur durch Übung.<br />

Deswegen hatte mein Essay als Motto folgende Worte des Erlösers: „Habt Mut!<br />

Ich habe die Welt besiegt!“ Desgleichen endete jedes Kapitel mit dem<br />

herausfordernden Aufruf: „Habe Mut!“<br />

Gewissermaßen hätte man sagen können, dass mein bescheidener<br />

Versuch ein Aufruf an meine Sklavenkameraden zum Wagemut gegenüber der<br />

Macht darstellte. Eine „Macht“, deren Macht sich nicht nur auf ihre tatsächliche<br />

Kräfte stützte, sondern vor allem auch auf unsere Einbildungen, die wir von ihr in<br />

unseren Köpfen hatten. Mein Essay war eine Einladung, kontinuierlich – mit dem<br />

Preis jedwelchen Opfers – die tatsächliche Macht des Widersachers zu testen,<br />

um diese von unseren Einbildungen und Ängsten zu trennen, mit der wir sie<br />

übertriebenerweise bis zur Lähmung ausgestattet hatten, so dass uns ihr<br />

gegenüber Trägheit füllte. Ich hatte den Essay mit einem Pseudonym<br />

unterzeichnet, der meine Initialen enthielt – Roly de Marmontel (ein Name,<br />

welcher den Autor bloß erahnen ließ, ohne einen Beweis darzustellen, aufgrund<br />

dessen er zur Verantwortung hätte gezogen werden können).<br />

R\ducanu, der ein äußerst feines Gespür für Ideen hatte, fühlte sofort,<br />

worauf meine Schindeln hinauswollten und zeigte sich bereit, mich zu<br />

„veröffentlichen“, und trug mir auf, sie zu „kopieren“, davon ausgehend, dass<br />

122<br />

Alice Guldbrandsen (1911-1995) ist eine dänische Autorin, die 1932 (unter dem Pseudonym Lise<br />

Norden) mit Lang vej frem debütierte.<br />

123<br />

Lloyd C. Douglas (1877-1951), amerikanischer Schriftsteller, dessen Roman The Robe (1942) ein<br />

Bestseller der 1940er Jahre war.<br />

124<br />

Alexis Carrel (1873-1944), französischer Chirurg und Biologe, der 1912 den Nobelpreis für Physiologie<br />

und Medizin erhielt. Sein L’homme, cet inconnu erschien 1935.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!