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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 99<br />

23. ORANKI<br />

Das Lager der rumänischen Offiziere. Sein Name klingt ernst wie der<br />

Glockenschlag eines Trauergeläuts. Das Lager, vor dessen Tor wir nun standen,<br />

war, so wie es aussah, einst ein Kloster gewesen, wie es so viele gegeben hatte<br />

im zaristischen Russland. Umgeben wurde es von einer hohen und dicken<br />

Ziegelmauer, die in gewissen Abständen mit den typischen Beobachtungsposten<br />

versehen waren (Wachtürme, auf denen die Tschassowojs, in riesigen wattierten<br />

Mänteln und mit MPs am Hals, Posten schoben). Jenseits dieser Mauer, aus der<br />

hie und da die <strong>ro</strong>ten Ziegeln wie eine von der Zeit geschlagene offene Wunde<br />

hervorgrinsten, und jenseits der riesigen Nussbaumk<strong>ro</strong>nen waren massive<br />

Gebäude, einige davon zweistöckig, zu sehen und im Hintergrund die<br />

dominierende Silhouette einer grandiosen Kirche. Mit Türmen ohne Kreuze. Das<br />

Kloster lag auf einem Hügel, an dessen Fuß zahlreiche Bäume und ein Häufchen<br />

Häuser, die es nicht wagten, den Kopf aus dem Schnee zu heben, auf die<br />

Anwesenheit eines Dorfes hinwiesen. Ob es wohl das ehemalige<br />

Leibeigenendorf des Klosters war? Wie dem auch sein, alles bildete eine<br />

interessante Anlage, die eine gewisse Qualität des Lebens bezeugte, das hier<br />

einst geführt worden war. Wir warteten in der furchtbaren Kälte am Vorabend des<br />

Dreikönigsfestes mit Ungeduld darauf, dass man endlich die Tore des Lagers<br />

öffnete und uns einließ, gerade so, als hätten wir uns vor den Toren des<br />

Paradieses und nicht vor jenen eines säkularisierten Infernos befunden. Ich weiß<br />

nicht mehr, wie lange wir da gewartet haben; wahrscheinlich eine Ewigkeit, denn<br />

auch die Zeit war festgef<strong>ro</strong>ren und rann nicht mehr weiter. Als sich endlich die<br />

Tore öffneten, traten wir auf eine Allee, die an den rechts und links liegenden<br />

Gebäudegruppen vorbei bis vor die Treppen der imposanten Kirche führte. Die<br />

Qual war aber bei weitem noch nicht am Ende. Vom Anfang der Kolonne wurden<br />

je 60-80 Gefangene genommen und irgendwohin nach rechts gebracht, wo sich<br />

das „Bad“ befand, wie wir erfuhren. Von dort führte man die Gebadeten direkt in<br />

den Schlafsaal. Eine solche Aktion dauerte mindestens eine Viertel Stunde lang,<br />

so dass man, bis alle gebadet hatten, bis in den Morgen hätte warten müssen.<br />

Weh denen, die am Ende der Kolonne standen. Zum Glück befand ich mich<br />

diesmal mehr vorne. Bis unsere Reihe kam, wurden wir, als eine Art<br />

„Aufwärmung“, der Zeremonie der Durchsuchung unterzogen. In jenem<br />

Augenblick bemerkte ich auch eine Gruppe lokaler Verwaltungsleute, die uns<br />

musterten. Sie hatten, was zu sehen. Nach eineinhalb Monaten Gefangenschaft<br />

sahen jene, die wir im Überlebensmarathon ans Ziel gelangt waren, wie die<br />

abwegigen Schatten derer aus, die wir einst gewesen waren. Unsere Kolonne<br />

stellte die unterschiedlichsten Sortimente von Körperbehinderungen,<br />

Krankheiten, Wunden, F<strong>ro</strong>stbeulen zur Schau, und dazu kamen noch der<br />

schauderhafte Anblick unser bärtigen, vom F<strong>ro</strong>st gebeutelten und vom Hunger<br />

ausgezehrten Gesichter mit tief in den bläulichen Höhlen liegenden Augen, dass<br />

wir uns selber nicht mehr wieder erkannten. Eine splendide Parade des<br />

menschlichen Elends, die aber den die Verwaltungsgruppe anführenden

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