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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 233<br />

58. DAS AUSEINANDERFALLEN DES „BASARS“<br />

Am Tag darauf ging ich in den Klub, um aus den Kulissen ein paar<br />

persönliche Sachen zu holen.<br />

Auf der Treppe stieß ich auf die Bühnenausstattung des Basars, die von<br />

den Jungs aus der Tischlerwerkstatt weggetragen wurde. Stieß auf die<br />

Cotnarifässer 112 des Gasthofs „Zur kühlen Laube“, so wie sie Nicu Gelep sich<br />

vorgestellt hatte, oder auf die gotische Fassade des Bürgermeisteramtes, vor der<br />

ich, der Hochstapler, und die anderen beiden Komplizen der Stadtburg unser<br />

Angebot unterbreitet hatten, eine g<strong>ro</strong>ßartige „Oper“ zu inszenieren, genau<br />

genommen eine Utopie. Verbarg denn mein Stück etwas „Subversives“?<br />

Zweifellos ja, t<strong>ro</strong>tz meiner heuchlerischen P<strong>ro</strong>teste. „Sie“ hatten dies<br />

herausgespürt, allein, sie tappten im Dunklen herum, ohne den Finger auf die<br />

Wunde legen zu können. Deswegen waren sie auch mit den so genannten im<br />

Grunde genommen abwegigen und lächerlichen Beweisen (das grüne Kleid, die<br />

spanischen Schlösser, die Nichtbestrafung der Schuldigen) gekommen, da sie<br />

die Stelle, an der die tatsächliche Mine versteckt worden war, nicht finden<br />

konnten. Ich hatte mein Stück nicht mit Anspielungen gespickt, die man mir<br />

vorhalten konnte, sondern hatte die Mine in seinen ideatischen Kern eingebaut.<br />

Diese „Utopie“ von einer g<strong>ro</strong>ßartigen Oper, in der ein jeder Bürger der<br />

Stadt – was konnte denn demagogischer sein? – nach Herzenslust mitspielen, -<br />

singen und -tanzen konnte, war auf lokaler Ebene nichts als das auf Weltebene<br />

funktionierende Paradigma der g<strong>ro</strong>ßen Utopie, welche das Jahrhundert mit ihrer<br />

gigantischen und monströsen Lüge füllen sollte. Und wir Scharlatane und<br />

Hochstapler, die wir mit dem Zauber der Illusion eine ganze Stadtburg auf den<br />

Kopf gestellt hatten, wir gaben alle Demagogen und Dämoniker vor, welche mit<br />

dem Mythos eines „irdischen Paradieses“ einen halben Planeten auf den Kopf<br />

gestellt hatten und noch stellen sollten.<br />

Was den „Epilog“ betrifft, der die Perspektive umkehrte und zum einen die<br />

Scharlatane in apotheotischem Licht erscheinen, zum anderen die Opfer ihnen<br />

nachtrauern ließ, so dass die Grenzen zwischen Gut und Böse sich verwischten,<br />

nun gut, dieser zeigte noch klarer die zerstörerische Wirkung dieser Subversion,<br />

welche das Bewusstsein in seinem Innersten verdirbt. Und diese geheimnisvolle<br />

Interpretation enthüllte sich nicht so sehr durch Worte, als durch das Spiel, durch<br />

die „genossenschaftliche“ Gestik, durch die zweideutige Mimik. Das Publikum,<br />

unser Publikum spürte, sei es nun bewusst oder halbbewusst, dass wir<br />

jemanden pa<strong>ro</strong>dierten. Aber wen? Tja, hier liegt der Hase begraben. Deswegen<br />

hat es auch mit solcher Vehemenz applaudiert.<br />

Ich weise darauf hin, dass ich darüber mit niemandem je gesp<strong>ro</strong>chen<br />

habe, auch nicht mit meinen nächsten Freunden. Nicht weil ich kein Vertrauen<br />

gehabt hätte, sondern weil es selbstverständlich war. Jeder von uns dreien<br />

fühlte, dass er nicht irgendeine Rolle spielte; dass der Scharlatan aus der<br />

112 Cotnari ist ein historisches Weingut unweit von Jassy.

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