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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 376<br />

Wo du hinkommst, unser Gedenken!“<br />

Dann verließen wir den kreuzlosen Friedhof mit einem seltsamen Gefühl,<br />

fast eines der Schuld, dafür, dass wir weggingen und sie dort einsam und<br />

verlassen in den Eingeweiden einer feindlichen Erde zurückließen, und machten<br />

uns in Begleitung unsichtbarer, beschützender Feen auf den Weg durch die<br />

weiße Nacht. Es war ihre Nacht, die Nacht der S=nziene 166 .<br />

Wir schritten schweigend am dunklen und geheimnisvollen Rande des<br />

irren Waldes entlang, dieses Waldes mit seinen lendenlahmen Bäumen und<br />

verdrehten Ästen, die uns ihre gespreizten Hexenfinger entgegenstreckten, als<br />

wollten sie uns greifen, um uns der verhexten Macht dieser Bösen Stätten nicht<br />

entkommen zu lassen. Wir erschauerten vor den seltsamen Stimmen des<br />

Sumpfes, erschraken vor einem auffliegenden Nachtvogel, den wir unsererseits<br />

erschreckt hatten und der fast unsere Häupter streifte, als wir plötzlich vor einer<br />

sonderbaren menschlichen Siedlung standen. Hie und da kauerten Häuser<br />

zwischen den verrenkten Bäumen. Bei näherem Hinsehen aber erwiesen sich<br />

diese als verlassen, ohne Türen und Fenster, deren Löcher starrten uns<br />

schauerlich an gleich den Augenhöhlen eines Totenschädels. Wer mag denn in<br />

diesen seltsamen Wohnstätten gelebt haben, und warum mag man sie verlassen<br />

haben?<br />

Die Neugier, das Geheimnis dieser sonderbaren Siedlung zu ergründen,<br />

war größer als die Angst davor sowie auch als die Weisung des Wegführers, ja<br />

nicht auszuscheren, und nach einer kurzen Blickverständigung mit meinem<br />

Weggenossen Gabi Constantinescu drangen wir in den von Gestrüpp,<br />

Zwergholunder und Unkraut überwucherten Vorhof und von dort durch das<br />

schwarze Loch der ehemaligen Tür in den Vorderraum.<br />

Überall standen Feldbetten. Dies waren die einzigen Möbelstücke. Die<br />

Betten waren leer, aber am Fuße eines jeden davon gab ein beschriftetes Etikett<br />

Namen, Rang und Kontingent dessen an, der drin geschlafen hatte. Beim Licht<br />

eines Streichholzes gelang es uns, irgendwie herauszufinden, dass es sich bei<br />

den ehemaligen Bewohnern um islamisierte Mongolen handelte. Sehr junge,<br />

denn die Kontingente lagen zwischen 1944 und 1947. Die Geräte und Tröge, die<br />

wir im Schmutz der Nebenräume fanden, ließen uns darauf schließen, dass die<br />

Besitzer dieser primitiven Siedlung sich mit der Viehzucht abgegeben hatten und<br />

mussten wohl, angesichts des von den Siedlungsüberresten als niedrig<br />

ausgewiesenen Lebensniveaus, auch mongolischer oder ug<strong>ro</strong>-finnischer<br />

Herkunft gewesen sein, vielleicht waren sie Maris, wie jene, die wir beim<br />

Herkommen get<strong>ro</strong>ffen hatten.<br />

Frenetisch liefen wir gleich Archäologen, die eine Informationsgoldgrube<br />

gefunden haben, von Haus zu Haus, entdeckten mal einen paarlosen<br />

Schnürschuh, mal eine Feldflasche oder eine zerb<strong>ro</strong>chene Schüssel, was uns<br />

Gelegenheit zu umfassenden sozial-politisch-militärischen Spekulationen bot.<br />

Die Schlussfolgerung war, dass wir uns auf dem Gebiet eines g<strong>ro</strong>ßen,<br />

nunmehr aufgegebenen Militärlagers befanden, wo vor fünf Jahren streng<br />

166 Sânzienele sind rumänische Fabelwesen – Elfen. Am 24. Juni finden auf dem Lande in verschiedenen<br />

Varianten Fruchtbarkeitsfeste und -rituale statt. Die emblematische Pflanze für das Fest ist das Labkraut<br />

(rum. sânzian!).

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