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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 507<br />

142. Sighet<br />

Mit fertigem Gepäck saßen wir am Rand der Pritschen und warteten<br />

darauf, dass etwas geschehe. Da näherte sich denn auch tatsächlich von der<br />

Lok her das bekannte Geräusch der Öffnung und Schließung der Waggontüren.<br />

Der Augenblick des Kontakts mit der Heimat war gekommen. Die Stunde der<br />

Wahrheit war da.<br />

Die Tür ging plötzlich auf, gerade mal soviel, dass im Türrahmen zwei<br />

Personen auftauchten, der sowjetische Offizier mit blauer Schirmmütze und ein<br />

rumänischer Offizier in Grenzeruniform, aber mit Sternen auf den Epauletten. Es<br />

war der erste Rumäne, der uns in der Heimat empfing. Ohne auf uns zu achten,<br />

fragte er den Sowjet: „Skolko schtiuk?“ („Wie viele Stück?“), und dieser<br />

antwortete: „Tritzit“ („Dreißig“). Der Rumäne zählte uns aus den Augen und<br />

notierte mit einem Bleistift etwas auf ein Stück Papier, dann schlug er ohne uns<br />

auch nur einen Blick oder ein Wort zu schenken, kraftvoll die Tür zu und schob<br />

gewaltsam die Riegel vor. Das war alles. Also denn, dies war das erste<br />

rumänische Gesicht gewesen, mit dem uns das Vaterland empfangen hatte –<br />

nach neun Jahren des Kampfes, des Leids und der Heimatlosigkeit in seinen<br />

Diensten. Ein dunkles und schweres Schweigen umhüllte uns alle. „Wie viele<br />

Stück“. Wir waren aus der Reihe der Menschen, der Personen, entlassen<br />

worden. Wir waren Gegenstände, „Stück“. Der erste Kontakt, die erste<br />

Verletzung.<br />

Alecu Tr\istaru war es dann, der von der gegenüberliegenden Pritsche als<br />

erster das Schweigen brach.<br />

„Herr Oberst”, wandte er sich an Ciufu, „wenn ich richtig verstanden habe,<br />

wünschten Sie, dass wir Sie auf die ersten rumänischen Worte aufmerksam<br />

machen, die wir auf rumänischem Boden zu hören bekommen. Nun gut, behalten<br />

Sie:” (und er buchstabierte langsam und betont) „skol-ko-schtiuk”.<br />

Die Szene war derart komisch, vor allem angesichts des bedrückenden<br />

Vorfalls, dass der gesamte Waggon, an der Spitze mit dem Oberst, in Gelächter<br />

ausbrach. Und wir lachten und lachten. Wohl aus einem unwiderstehlichen<br />

Bedürfnis nach Entspannung heraus, mit Galgenhumor lachten wir wie blöde und<br />

konnten nicht mehr innehalten. Erst als ein junger Mann, der beständig durch<br />

einen Türspalt verfolgte, was draußen vor sich ging, uns zurief: „Ruhe, Leute, ich<br />

verstehe nicht, was draußen passiert!”, stellten wir unser Gelächter ein– genauso<br />

brüsk, wie es ausgeb<strong>ro</strong>chen war.<br />

Tatsächlich ging die Tür nach einer Weile angespannten Schweigens weit<br />

auf, und in dem – für unsere Maulwurfsaugen – blendenden Licht eines sonnigen<br />

Wintermorgens sahen wir, wie vor einem Maramurescher Haus eine Reihe<br />

junger rumänischer Soldaten mit blauen Bändchen am Kragen und<br />

aufgepflanzten Bajonetten Stellung bezog, darauf wartend, uns als Eskorte in<br />

Empfang zu nehmen, und von der linken Flanke her blickten uns mit dem Bauch<br />

auf der Erde und gespitzten Ohren drei, vier angeleinte Polizeihunde feindlichneugierig<br />

an.

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