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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 514<br />

Geräte zu kaufen, vor allem aber Radios, die nun bei maximaler Lautstärke liefen<br />

und einen fürchterlichen Lärm veranstalteten, dass man sich fast wie in<br />

Straussens Fledermaus veranlasst fühlen konnte, auszurufen: „Ein fideles<br />

Gefängnis, mein Herr!“<br />

Nach und nach gelang es uns, die Informationsbruchstücke<br />

zusammenzufügen und auf diese Weise eine Übersicht zu erzielen, ja sogar eine<br />

P<strong>ro</strong>gnose für die unmittelbare Zukunft anzustellen. Hier in Sighet wurden von<br />

Zeit zu Zeit Zuggarnituren nach Nationalitäten zusammengestellt, die dann Gott<br />

weiß in welche Richtung wegfuhren, und was uns Rumänen betrifft, so hatte man<br />

nur noch auf unsere Ankunft aus Odessa gewartet, um eine g<strong>ro</strong>ße Garnitur zu<br />

bilden, welche wahrscheinlich Bukarest als Ziel haben würde.<br />

Es war schon lange zur Nachtruhe geblasen worden, und wir waren noch<br />

immer nicht fertig mit dem Geschichtenerzählen. Schließlich erhoben wir uns alle<br />

und suchten ein jeder irgendeine Schlafstatt im Lager, um bis am Morgen unsere<br />

Glieder auszuruhen.<br />

Wir gingen auf Fußspitzen von Schlafsaal zu Schlafsaal. Sie waren<br />

allesamt überfüllt. Im trüben Licht irgendeiner halbblinden Glühbirne schliefen<br />

angekleidet und durcheinander gewürfelt sowohl Kriegsgefangene als auch<br />

Deportierte, ja sogar ein paar Frauen, alle mit dem Kopf auf ihren Rucksäcken<br />

oder Reisebündeln. Ihr Atem war tief und rhythmisch wie der Wellenschlag am<br />

Meeresstrand. Die Musik dieses Weltschlafs wurde von fantastischstem<br />

Schnarchen getragen, und dann und wann waren komische Wörter, Gemurmel<br />

im Schlafe und – was schrecklicher war – fürchterliche Schreie zu hören, die aus<br />

Alpträumen auffuhren.<br />

Ja, all diese bis in die Untiefen ihres Unterbewusstseins gequälten<br />

Menschen hatten sich von ihren Leidensorten noch nicht definitiv frei gerissen.<br />

Hatten sich noch nicht vom Dunkel der Bergwerke gelöst, von den Sägen und<br />

Motorsägen der Taiga, von den Fließbändern der Fabriken, den Zellen der<br />

Lubjanka, den Stacheldrahtzäunen, den Wachhunden und den<br />

Maschinenpistolen von den Wachtürmen. Jeder hatte bei der Repatriierung auch<br />

den Ort seiner Haftzeit, sein Stück Hölle mitgenommen, das nachts fürchterlich<br />

aus ihm aufschrie, um in die Welt gelassen zu werden. Ich betrachtete<br />

erschüttert dieses hypnotisierende Bild: So viele Menschen da waren, so viele<br />

KZ-Welten gab es, ein jeder trug die seine in Alpträume gewickelt mit nach<br />

Hause.<br />

Zu einem gewissen Zeitpunkt, nachdem wir durch all diese Schlafsäle<br />

gegangen waren, die, wie in einem labyrinthischen und irrsinnigen Raum kein<br />

Ende mehr nahmen, gelangten wir auf einen dunklen Gang, wo unsere Blicke<br />

von g<strong>ro</strong>ßen Fenstern gefangen genommen wurden, durch die man die Berge<br />

draußen sehen konnte. Die Aussicht war wie eine Halluzination: Vor dem<br />

Himmel, an dem das Blau noch mit dem Dunkel kämpfte, war gestochen die<br />

schwarze Silhouette eines Berges zu erkennen, auf dem die Flammen<br />

zahlreicher größerer oder kleinerer Feuer wie in einer Walpurgisnacht in<br />

munterem Spiel standen.<br />

„Dies ist der Widerstand“, flüsterte wie verzaubert Nelu Teodorescu,<br />

dessen Augen gebannt das Flammenspiel verfolgten. Er war am Tag zuvor<br />

angekommen. „Dort sind unsere Jungs, die Kämpfer aus den Bergen.“

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