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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 100<br />

Lagerkommandanten, Oberst oder Polkownik Grischtschuk, keineswegs zu<br />

beeindrucken schien. Dieser, ein Mann mittleren Alters und ruthenischer<br />

Abstammung, wie auch sein Name verriet, ließ gleichgültig die Blicke seiner<br />

flinken und bösen Augen über uns hinweg schweifen; seine Augen stellten<br />

übrigens das einzige lebendige Element dar in seinem ruhigen pergamentenen<br />

Antlitz mit scharfen, aber zugleich g<strong>ro</strong>ben, wie mit einem Beil gehauenen<br />

Gesichtszügen; das Gesicht eines von der Revolution geformten Muschiks; ein<br />

Gesicht geschaffen dafür, bei keinem Verbrechen, bei keiner<br />

Gesetzesübertretung zusammenzuzucken, angesichts dessen, dass sein Träger<br />

Rang um Rang bis zu dem jetzigen befördert worden war. Was konnte man<br />

Gutes von einem solchen Gesicht erwarten? Daneben stand in einem grauen<br />

Militärmantel eine magerere Silhouette mit feinen Zügen, die ein leichtes Zittern<br />

nicht verbergen konnte.<br />

Mit Sicherheit stammte sie nicht aus dieser Gegend. Es war der<br />

Lagerkommissar Codler, der in Rumänien geboren wurde und kurz vor dem<br />

Krieg nach Russland geflüchtet war. Er sprach Rumänisch und versuchte, mit<br />

uns ins Gespräch zu kommen, indem er uns gegenüber sogar Mitleid zeigte.<br />

(Tja, wenn ihr euch von Antonescu habt antreiben lassen!) Selbstverständlich<br />

sollten wir alsbald merken, dass all diese Freundlichkeiten nichts Weiteres als<br />

Versuche darstellten, potentielle Kollaborateure ausfindig zu machen.<br />

Neben ihm stand seine Ehefrau Ana Pawlowa, die Lagerärztin. Jung,<br />

blond und mit den blauen Augen einer authentischen und sehr sympathischen<br />

Russin erschien sie wie ein T<strong>ro</strong>pfen Grazie in dieser Zone der Hässlichkeit und<br />

des Elends. Schließlich der „Sprecher“ des Lagers, Major Popescu, der von der<br />

Verwaltung zum Chef der Gefangenen gemacht wurde, um ihnen ihre Befehle zu<br />

übermitteln. Gut gebaut und mit entschlossenen Gesichtszügen strahlte der<br />

Mann – jenseits der ihm zugeteilten Autorität, deren Symbol ein weißer Stock<br />

war, den er nonchalant hin und her schwang – auch eine eigene, persönliche<br />

Autorität aus, die er, wie wir später feststellen sollten, mitunter auch recht<br />

willkürlich einzusetzen wusste. Major Popescu war genau wie Grischtschuk<br />

Grenzoffizier, und beide, erfuhren wir, hätten vor dem Krieg auf der einen und<br />

auf der anderen Seite des Dnjestrs je eine Grenzereinheit kommandiert. Zu jener<br />

Zeit wurde der Dnjestr nachts oft von zahlreichen transnistrischen Moldauern<br />

schwimmend überquert, die manchmal mit der ganzen Familie aus dem<br />

sowjetischen Paradies flüchteten. (Diese Atmosphäre wurde von Gib Mih\iescu<br />

in seinem Roman Rusoaica / Die Russin/ eingefangen. 53 ) Um diese<br />

Grenzzwischenfälle zu erledigen, trafen sich wohl die beiden Kommandanten<br />

entweder auf rumänischem oder auf sowjetischem Boden und begossen das<br />

Ende der Untersuchung, je nachdem, mit Wodka oder Zuika. Als die<br />

Widerwärtigkeiten des Schicksals seinen ehemaligen Partner der gemischten<br />

Kommission nach Oranki brachte, machte ihn Grischtschuk, um ihm sein Leben<br />

etwas zu erleichtern, zum Chef des Lagers. All dies erfuhren wir später von den<br />

älteren Gefangenen (die 1941 in Gefangenschaft gefallen waren).<br />

Aber kehren wir zurück in den Lagerhof, wo wir unaufhörlich von einem<br />

Fuß auf den anderen hüpften, um nicht zu erfrieren. Die Kommission, welche die<br />

53 Einer der erfolgreichsten Romane des rumänischen Erzählers Gib Mih!iescu (1894-1935).

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