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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 223<br />

drängen, wo sie die Scharlatane erkennen und entlarven. Mutter und Tochter<br />

fallen in Ohnmacht, und in dem Gedränge, das auf der Bühne entsteht,<br />

verschwinden Giacomo und Alfonso spurlos, indem ihnen auch der kleine Hipolit<br />

behilflich ist, da er, so wie es seine Rolle vorsah, die beiden mit seinem Degen<br />

vor ihren Verfolgern verteidigt. Da sie nun keinen mehr hatten, an dem sie ihren<br />

Ärger auslassen konnten über den Betrug und darüber, dass sie nun nicht einmal<br />

ihr Talent zur Schau stellen konnten, stürzte sich der Krämerhaufen derer, die<br />

von der Glorie des Rampenlichts geträumt hatten, auf den Bankier und die<br />

Gräfin, drauf und dran, diese zu lynchen, hatten sie ihnen doch das Fest<br />

vermasselt und ihnen die Möglichkeit genommen, ihre Nummer vorzutragen.<br />

„Was, wenn es Hochstapler waren? So wie es war, haben wir sehr gut mit<br />

ihnen zusammengearbeitet.“ Zum Glück für die beiden wurde im Souffleurkasten<br />

der winzige kleinwüchsige Johannes entdeckt, den die Gräfin als den Kopf der<br />

Bande vorstellt. Der Haufen all der Enttäuschten, die sich bereits als Stars<br />

gesehen hatten, kommt allerdings nicht dazu, Johannes zu lynchen, denn im<br />

letzten Moment bedecken ihn Gretti und Hipolit mit ihren Leibern.<br />

Dies war die Abenteuergeschichte der drei. Hätte sie hier aufgehört, sie<br />

wäre eine gewöhnliche – mehr oder weniger witzige – Geschichte mit<br />

Scharlatanen gewesen, die eine ganze Stadt betrügen und dann heil mit der<br />

Beute davonkommen.<br />

Der Autor hatte jedoch die – glückliche oder auch unglückliche (das wird<br />

man später sehen) – Eingebung, ihr auch einen Epilog beizufügen – übrigens<br />

einen ziemlich anfechtbaren, denn in ihm wurde eine Änderung der Perspektive<br />

vorgenommen, eine Neubewertung der negativen Personen, welche plötzlich in<br />

einem positiven Lichte auftreten. So etwa wendet sich Eulalia, eines der Opfer,<br />

auf der Vorderbühne direkt an das Publikum und erklärt, dass sie in ihrem<br />

bedächtigen und monotonen Leben nie so intensiv gelebt hat wie in diesen<br />

Wochen. „Er [Giacomo, der Scharlatan, R.M.] hat mich gelehrt, meine Blicke auf<br />

mein Inneres zu richten, auf jenen Ort, welcher der Seele der Menschen<br />

entspricht. Auf den Stegen der Bücher bin ich in das Leben so vieler Figuren<br />

eingedrungen. Ich habe so viele Leben in meiner Stimme, auf meinem Antlitz<br />

aufleben lassen. Niemals war mein Leben voller, reicher. Schade, dass es aus<br />

ist!“<br />

Auch Gretti lässt es sich nicht nehmen, vor dem Publikum ihre<br />

Erfahrungen zu analysieren: „Diese kalte und dunkle Stadtburg bedrückt mich,<br />

und er [Alfonso, der Verführer, R.M.] führte mich an die sonnengebadeten<br />

Gestade des Mittelmeers, wo die Orangenbäume blühen und der verzauberte<br />

Südwind singt. Ich lebte unter einem azurnen Himmel in Korallenpalästen. Ich<br />

war so glücklich. Schade, dass es aus ist!“ Erklärungen, welche auch die<br />

Abenteurer dazu berechtigen, ihr Tun für legitim zu erklären: „Wir sind<br />

Illusionshändler. Ohne unsere billige, aber bunte und glitzernde Ware wäre das<br />

Leben schwer zu ertragen. Und solange die Menschen die Notwendigkeit<br />

verspüren werden, sich von der Gegenwart loszureißen, um jenseits der Leiden<br />

des Tages wenigstens für einen Augenblick im fabelhaften Palast der Illusionen<br />

zu leben, solange bleiben unsere Figuren unerschütterlich in ihren Seelen.“<br />

Woraus ersichtlich ist, dass zwischen „Opfer“ und „Täter“ sonderbare<br />

komplizenhafte Beziehungen auftreten können.

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