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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 292<br />

Zigarettenschachteln – nieder. (Dies 1946, dazu im gebildetsten Land der Welt.)<br />

Was forderten wir denn alle durch diesen Streik? Unsere Freilassung aus der<br />

Isolierung und jene unserer Kameraden aus dem Karzer.<br />

Danach gingen wir schlafen und übergaben unser Schicksal Gott im<br />

Himmel. Am Morgen, als die Köche uns das Essen brachten, wurden sie über<br />

unseren Streik in Kenntnis gesetzt. Sie bedienten jene, die daran nicht<br />

teilnahmen, ließen aber die Eimer mit dem verweigerten Essen zurück, über die<br />

der arme Mucea, vom Dunkel geblendet, fast stürzen sollte, denn wieder hatte er<br />

das Pech, an einem solchen spannungsreichen Tag Offizier vom Dienst zu sein.<br />

Die erste Maßnahme der Verwaltung bestand darin, die aus M=n\st=rka<br />

gekommenen Streikenden von uns wegzunehmen und in den Karzer zu stecken.<br />

Darunter befanden sich auch Pfarrer Bejan und Petric\ Ilie.<br />

„Sie haben mit dem Schlachten der Hähne begonnen“, flüsterte mir dieser<br />

beim Abschied zu. „Macht nichts. Egal wie viele sie schlachten, es wird dennoch<br />

Tag werden.“ Die anderen aus M=n\st=rka, die nicht streikten, darunter auch die<br />

beiden Priester, wurden weiterhin unter uns gelassen, was sie in die peinliche<br />

Lage brachte, vor uns, den Hungerleidenden, zu essen, so dass durch die<br />

aufreizenden Gerüche unsere Hungerpein noch übler wurde. Natürlich hatten sie<br />

eine solch genierende Situation nicht vorhergesehen, allein, wer hatte sie denn<br />

getan, den Weg einer solch riskanten Aktion einzuschlagen, wenn sie nicht die<br />

Kraft hatten, diesen bis zu Ende zu gehen? Wer auf halbem Weg stehen bleibt,<br />

schadet jenen, mit denen er sich auf den Weg aufgemacht hat.<br />

Weil die Rede auf die Hungerpein während des Streiks kam, ein paar<br />

Worte zu diesem Thema. In jenem Jahr war mir zu Ostern folgendes aus dem<br />

Lobgesang aufgefallen: „Christus ist auferstanden von den Toten. Er hat den Tod<br />

durch den Tod zertreten.“ Wenn der Tod, sagte ich mir damals, durch den Tod<br />

mit Füßen getreten werden kann, warum sollte nicht auch der Hunger durch<br />

Hunger besiegt werden können? Wenn die Macht des Todes aus der Ordnung<br />

der natürlichen Notwendigkeit durch den frei akzeptierten und zur Auferstehung<br />

führenden Tod besiegt werden kann, warum sollte nicht auch der frei akzeptierte<br />

und befreiende Hunger den aufgezwungenen Hunger besiegen können? Und<br />

von jenem Moment an hatte ich das Gefühl, dass der „Hungerstreik“ das einzige<br />

Mittel ist, um dem Ter<strong>ro</strong>r, der Obsession des Hungers zu entgehen.<br />

Bestätigte mir denn dieser Streik meine theoretischen Erwartungen? Zu<br />

einem guten Teil, ja. Ausgenommen den ersten Tag, an dem ich Hunger<br />

verspürte, empfand ich an den restlichen (sechs) Tagen alles (Migräne, zuerst,<br />

dann Schwäche, leichten Schwindel, Pulswechsel etc.) außer Hunger. Durch den<br />

Hungerstreik hatte ich den Hunger besiegt.<br />

Aber die anderen, wie ertrugen sie den Hunger? Unterschiedlich,<br />

abhängig von mehreren Faktoren, vor allem aber je nach der Haltung des<br />

Geistes gegenüber dieser P<strong>ro</strong>be.<br />

Wie auch der Gewaltmarsch durch die Schneeberge der ersten zwei<br />

Wochen der Gefangenschaft, den ich beschrieben habe, waren nicht die<br />

Jüngsten oder die Gesündesten auch die Widerstandsfähigsten, sondern jene<br />

mit einer reicheren Seele. Auch hier wichen die natürlichen Kriterien vor den<br />

moralischen zurück. So etwa waren es jene, die auch die kleinste physische<br />

Anstrengung vermieden und nicht mehr aus dem Bett k<strong>ro</strong>chen, wo sie sich in

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