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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 493<br />

Pinseln, Leinwand usw. zu bekommen, womit wir unsere Tätigkeit weiterführen<br />

konnten.<br />

Auf diese Weise ermöglichten wir diesen Menschen, die von den<br />

Kommunisten all ihrer Güter beraubt worden waren, an ihre leeren und grauen<br />

Wände (gleich ihrer gesamten Existenz) unter dem Vorwand eines Gemäldes ein<br />

bisschen Farbe zu hängen.<br />

Da ich die von ihnen geschickten Fotographien betrachtete, passierte vor<br />

meinen Augen eine versunkene Welt Revue, Offiziere mit Schärpe und Orden,<br />

Herren im Frack oder im Salon<strong>ro</strong>ck mit Zylinder, Damen mit bodenlangen<br />

Kleidern und Hüten, wahre Käfige mit exotischen Vögeln. Eine Welt, die in der<br />

<strong>ro</strong>ten Flut der Revolution untergegangen und vom Schlamm des Vergessens<br />

begraben worden war.<br />

Was mich betrifft, nun, da ich meine alte Leidenschaft für das Porträt<br />

wieder belebt hatte, war ich mir nur zu sehr dessen bewusst, dass ich durch das<br />

Kopieren von Fotos nichts als Kitsch schaffen konnte, so dass ich dazu überging,<br />

Studien nach den Figuren und Antlitzen meiner Kameraden anzufertigen, die es<br />

ihrerseits zufrieden waren, mir für den Gegenwert des Bildes, das oftmals ein<br />

Ölgemälde war, Modell zu stehen.<br />

So kam es, dass viele unserer Jungs sei es zu Kohleskizzen, sei es zu<br />

Tuschezeichnungen oder Ölporträts kamen, die sie größtenteils auch nach<br />

Hause bringen konnten.<br />

(G<strong>ro</strong>ß war meine Überraschung und Freude, als ich vor ein paar Jahren<br />

im Rahmen eines Fernsehinterviews, das einer unserer Jungs gab, an der Wand<br />

hinter ihm sein Bleistiftporträt sah – mit g<strong>ro</strong>ßem, breitem und gekräuseltem Bart,<br />

wie es damals Mode war, das ich ihm vor 45 Jahren in Odessa angefertigt hatte.)<br />

Selbstverständlich war der Geschmack der meisten unserer Auftraggeber<br />

(größtenteils einfache Leute) dem Kitsch verbunden. Deswegen schlug Gri[a uns<br />

in sehr ernstem Ton vor, am Eingang eine g<strong>ro</strong>ßlettrige Warnung anzubringen<br />

(um jedem Malentendue vorzubeugen): „Wir machen alles außer Kunst.“<br />

T<strong>ro</strong>tz des Tributs an den schlechten Geschmack war die Aktion an und für<br />

sich eine positive, eine Therapie für unsere angehäuften seelischen Traumen.<br />

Sie füllte uns den ganzen Tag mit einer interessanten Beschäftigung und riss uns<br />

damit aus dem Gravitationszone des Hässlichen, der Angst, der<br />

Perspektivlosigkeit, die kennzeichnend waren für diese Phase des<br />

Verzweiflungssumpfes unserer Gefangenschaft.<br />

Aber es gibt nirgends auf der Welt einen guten Tanz, darein nicht auch der<br />

Teufel hat seinen Schwanz. In unserem Fall spielte die Rolle des<br />

Teufelschwanzes einer der Offiziere vom Dienst, ein NKWD-Leutnant, ein<br />

Ukrainer mit rötlichen Haaren und gerötetem Gesicht, gleich jedem „<strong>ro</strong>ten<br />

Menschen“ aus der Märchenwelt, böse und gefährlich. Er hatte ein Auge auf ein<br />

größeres Werk geworfen, und zwar auf eine Jagdszene, genauer auf ein<br />

Jägermahl (bei dem einer der Jäger den anderen sich vor den anderen mit<br />

seinen Taten brüstet), an dem Oleg arbeitete. Er dachte gar nicht daran, es<br />

einfach zu verlangen (wie hätte er sich dazu herablassen können?), und da wir<br />

so taten, als verstünden wir nicht, was er wollte, versuchte der Kerl, uns zu<br />

schikanieren. So machte er uns etwa darauf aufmerksam, dass es uns nicht

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